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Der Weihnachtsverrat: Roman (German Edition)

Der Weihnachtsverrat: Roman (German Edition)

Titel: Der Weihnachtsverrat: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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sich nicht die Mühe, den Satz zu beenden. Narraway wusste ja bereits, dass er ihn geweckt hatte. Aber beiden war klar, dass dieses Gespräch unvermeidlich war.
    Zehn Minuten später saßen sie im Wohnzimmer. Grant hatte schnell etwas Ordnung geschaffen, und der Tee stand jetzt auf dem Tisch vor ihnen. Grant hatte nun seine Uniform vollständig angezogen und war frisch rasiert, sah aber immer noch müde aus und hatte dunkle Ringe um die Augen. Er schien nervös zu sein. Narraway führte das darauf zurück, dass man ein solch schockierendes Erlebnis nicht einfach wegstecken konnte. Außerdem musste er es in dem Bewusstsein nochmals erzählen, dass sein Bericht unweigerlich zur Hinrichtung eines Mannes führen würde, den er womöglich ziemlich gut kannte und dem er sicherlich vertraut hatte.
    »Ich weiß wirklich nicht, was ich Ihnen sonst noch sagen könnte.«
    »Erzählen Sie einfach, was geschehen ist. Wenn ich weiß, was Sie gegenüber Hauptmann Busby vor Gericht aussagen werden, kann ich mich wenigstens darauf vorbereiten.«
    Grant schüttelte den Kopf. »Das wird auch nichts ändern«, sagte er traurig. »Ich weiß wirklich nicht, was zum Teufel in Tallis gefahren ist. Ich habe immer geglaubt, er sei ein anständiger Kerl. Ich mochte ihn sogar. Jeder mochte ihn. Nun … ein oder zwei Offiziere hielten seinen Humor für etwas merkwürdig.« Er sah Narraway kurz an. »Sie haben ihn einfach nicht verstanden. Wenn Sie jeden Tag mit Krankheiten und Verletzungen zu tun haben und nicht ab und zu auch mal über seltsame Dinge lachen, dann werden Sie ja verrückt.«
    »Sind Sie schon lange hier?« Er blickte Grant neugierig an und fragte sich, welche Erfahrungen er wohl gemacht hatte, dass er so voller Mitgefühl sprach.
    »Ein paar Jahre. Davor war ich im Krimkrieg.«
    Narraway zuckte zusammen. Das Fiasko dieses Kriegs, die fatalen Fehler waren Legende. »Balaklawa?«, fragte er, bevor ihm klar wurde, wie unpassend diese Frage unter den gegebenen Umständen war.
    Grant verzog das Gesicht. »Colin Campbell sei Dank«, erwiderte er kurz angebunden.
    Narraway war gegen seinen Willen beeindruckt. »Waren Sie zur selben Zeit da wie er?«
    Grant richtete sich auf, seine Erschöpfung schwand etwas. Das alleine stellte schon eine Antwort dar. »Ja. Noch so ein dämlicher Krieg, in den wir zufällig geraten waren, weil wir verdammt noch mal nicht aufgepasst haben, worauf wir uns da einlassen!« Er streifte mit der Hand über seine Brauen und strich sein dichtes schwarzes Haar zurück. »Tut mir leid. Aber manchmal würde ich am liebsten die ganze verdammte Regierung auf die Pferde setzen und ihnen befehlen, die Gewehre des Feinds zu laden – mit Patronen, die mit Schweineschmalz eingerieben waren! Sorry, irgendwie ein falsches Bild. Aber ich habe in diesem Krieg auch Freunde verloren.«
    Narraway saß schweigend da und dachte an all die jungen Männer, die gefallen waren, nur weil jemand nicht wusste oder nicht nachgedacht hatte, was er anrichtete. Unzählige sinnlose Verluste, jeder von ihnen ein Sohn, eines anderen Freund.
    Grant fuhr sich mit den Händen über das Gesicht, atmete tief ein und mit einem Seufzer wieder aus. »Vielleicht ist Tallis einfach durchgedreht, das arme Schwein. Ich finde so etwas schlimmer, als dem Feind im Kampf zu begegnen. Trotzdem kann ich Ihnen nicht mehr sagen, als ich weiß.«
    Narraway holte sich wieder in die Gegenwart zurück.
    »Mehr will ich auch gar nicht«, sagte er leise. Es war schon seltsam, dass sie sich in diesem stillen, ziemlich schäbigen Haus bei einer Tasse Tee über Verrat und Mord unterhielten, allerdings mit zittrigen Händen und immer wieder mit belegter Stimme. »Sie hörten die Alarmglocke im Gefängnis?«, ermunterte er ihn. »Wo waren Sie da?«
    »Ungefähr hundert Meter entfernt, in einem der Neben gebäude. Ich habe das Munitionslager überprüft. Ich ließ alles stehen und liegen und lief …«
    »Haben Sie da jemanden gesehen?«, unterbrach ihn Narraway.
    »Vor mir nicht, aber ich habe mich auch nicht umgedreht. Ziemlich unübersichtlich da draußen … Schuppen, Latrinen, na so was eben. Links hinten war ein Karren mit einem Pony. Ich hab ihn nur aus dem Augenwinkel bemerkt, als ich zum Gefängnis rannte.«
    »Ist noch jemand herumgelaufen? Gerannt?«
    »Nein. Ich war wohl der Erste, der den Alarm gehört hat, weil ich ganz in der Nähe war.«
    »Als Sie zum Gefängnisgebäude kamen, stand da die Außentür offen?«
    »Nein. Da ist alles nur behelfsmäßig. Das

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