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Der Weihnachtsverrat: Roman (German Edition)

Der Weihnachtsverrat: Roman (German Edition)

Titel: Der Weihnachtsverrat: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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war er in seinem Sessel zusammengesackt. Der Tee blieb unberührt auf dem Tisch stehen.
    »Und die anderen sind kurz nach Ihnen gekommen? Attwood und Peterson?«
    »Genau.«
    »Wie lange waren Sie alleine im Raum?«
    Grant kaute auf seiner Lippe. »Ungefähr eine halbe Minute, vielleicht länger, vielleicht kürzer.«
    »Erzählen Sie, was Sie genau taten.«
    »Ich bin zu Chuttur Singh gegangen.« Grant konzentrierte sich. Seine Gedanken waren noch bei dem ersten schrecklichen Augenblick. »Ich … ich sah das ganze Blut und wusste gleich, dass er tödlich verletzt war. Ich wollte ihn … ich weiß auch nicht, ›retten‹ wäre der falsche Ausdruck. Überall Blut, auf seiner Kleidung und auf dem Boden. Es war klar, dass jede Hilfe zu spät kam. In so einem Augenblick überlegt man nicht! Man …« Er brach ab. Sein Gesicht war aschfahl.
    Narraway wollte sich den Anblick möglichst nicht vorstellen. Es gelang ihm aber nicht. »Sie beugten sich also zu Chuttur Singh auf dem Boden hinunter und stellten fest, dass er nicht mehr zu retten war. Und dann?«
    »Er sagte, glaube ich … ›Dhuleep ist weg‹. Er sprach davon, dass jemand reingekommen sei, ihn überrumpelt habe. Dann Dhuleep rausgelassen hat. Er sprach ganz undeutlich, keuchte, brachte fast keinen Ton heraus. Ich weiß nur noch, dass er ›weg‹ sagte. Und dann: ›Holt ihn ein, er weiß von der Patrouille.‹ Dhuleep muss wohl ganz kurz davor weggelaufen sein, in der Zeit, die Chuttur gebraucht hatte, um von der Zelle zum Alarm zu kriechen.« Grant lief der Schweiß herunter, so, als ob er sich selbst dahin geschleppt hätte.
    »Und dann?«
    »Dann habe ich in die Zelle geschaut. Chuttur hatte recht … natürlich. Dhuleep war weg. In der Zelle war nichts außer Blut und der Haufen mit dem Bettzeug, auch voller Blut. Und da kamen Attwood und Peterson.«
    »Und Sie haben ihnen gesagt, was passiert ist?«, fragte Narraway nach.
    »Ich habe ihnen gesagt, dass Dhuleep von der Patrouille wüsste, und dass wir ihn kriegen müssten. Einer der beiden – ich weiß nicht mehr, wer – kniete sich neben Chuttur, um zu sehen, ob er ihm noch helfen könnte, und dann liefen wir alle nach draußen, um Dhuleep zu suchen.«
    »Blieben Sie zusammen oder haben Sie sich aufgeteilt?« Narraway hielt immer noch an der Hoffnung fest, dass ei ner von ihnen jemand anderen gesehen hätte oder jemanden, der sich nicht da aufhielt, wo er den Aussagen nach hätte sein müssen.
    Grants Stimme klang nun sehr erschöpft. »Zunächst waren wir miteinander in Sichtweite, erst als wir keinerlei Spur fanden, teilten wir uns auf. Ich ging nach Westen. Ich glaube, Attwood ging nach Süden und Peterson zum Fluss. Aber ich bin mir nicht sicher.«
    »Haben Sie noch andere zur Suche mit hinzugezogen? Leute gefragt? Andere rausgeschickt?«, hakte Narraway nach.
    »Ja, natürlich. Jeden, der uns begegnet ist.«
    »Haben Sie irgendeine Spur von ihm entdeckt? Wonach haben Sie genau gesucht? Fußspuren? Wie hätten Sie seine erkannt? Haben Sie jemanden getroffen, der ihn gesehen hat? Wer war alles dort? Soldaten, Frauen und Kinder, Zivilisten? Wer könnte ihn gesehen haben? Im Nachhinein betrachtet, muss ihn ja jemand gesehen haben.«
    »Ja, natürlich«, stimmte ihm Grant mit einem gequälten Lächeln zu. »Im Nachhinein! Ein Sikh-Soldat in Uniform. Nichts Außergewöhnliches auf einer Militärbasis in Nordindien. Keiner hätte gewusst, dass es Dhuleep war. Keiner hätte wahrscheinlich ein zweites Mal hingeschaut.«
    »Er hatte gerade einen Mann erstochen«, sagte Narraway eindringlich. »Diese langen, gebogenen Säbel der Sikhs sind absolut tödlich! Sie haben gesagt, dass überall Blut war. Der arme Chuttur ist verblutet. Dhuleep musste irgendwelche Blutspuren an sich haben, als er floh. An den Hosen vielleicht nicht unbedingt, weil sie oben locker sind und an den Fußgelenken eng gebunden. Und wenn sie dann noch dunkel oder gestreift waren, hätte man nicht unbedingt etwas bemerkt. Aber seine lange, helle Uniformjacke hing doch locker herunter.« Er betrachtete erwartungsvoll Grants Gesicht.
    »Vielleicht hatte er sie ausgezogen?«, erwiderte Grant nach einer Weile. »Ganz bestimmt. Blut muss ja sicher daran gewesen sein. Da haben Sie völlig recht. Aber er ist ja entkommen. Es spielt also keine Rolle mehr wie. Sicher ist er schon meilenweit weg. Gott weiß, wo. Ich jedenfalls weiß es nicht.«
    »Sie sagten, dass Sie zu dem Zeitpunkt keine Spur von ihm hatten«, Narraway war nicht bereit

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