Der Weihnachtsverrat: Roman (German Edition)
richtige Gefängnis ist fast völlig zerstört worden. Das hier erfüllt aber seinen Zweck ganz gut, weil es eine Art Magazin war. Es war nicht weiter schwierig, ein paar Zellen einzubauen, und man kann das Gebäude nur von außen abschließen. Eigentlich ideal. Ziemlich ausbruchssicher, es sei denn, jemand hilft einem.«
»Gab es andere Gefangene?«
»Nein, nur Dhuleep.« Grant blickte auf seine schmalen braun gebrannten Hände. »Vor der Meuterei gab es gelegentlich Befehlsverweigerungen, Streit unter Betrunkenen und so etwas, vielleicht auch mal einen Diebstahl. Seit der Belagerung und dem Massaker schert niemand mehr aus der Reihe. Die, die übrig geblieben sind, … halten zusammen.« Er sah Narraway in der Hoffnung an, dass dieser auch ohne viele Worte verstand.
Narraway nickte. »Was hatte sich Dhuleep zuschulden kommen lassen?«
»Verletzung der Dienstpflicht. War nachts nicht auf seinem Posten anzutreffen. Ich dachte, er sei einfach eingeschlafen oder so. Wir sind alle müde und ein bisschen nervös«, seufzte er. »Er hätte natürlich sonst wohin gegangen sein können.«
»Wahrscheinlich hat er versucht, Informationen über die Patrouille zu bekommen«, sagte Narraway.
Grant blickte auf den Tisch. »Ja – vermutlich. Im Nachhinein sieht’s fast so aus.«
»Wie sind Sie in das Gebäude hineingekommen?«
»Von draußen kein Problem. Der Schlüssel steckt.«
»Was haben Sie vorgefunden?«
Grants Gesicht spannte sich an. Er blickte finster. »Die Zellentür stand offen. Niemand war da, nur Dhuleeps Bett zeug auf dem Boden und ein Teller mit verschüttetem Es sen … und Blut. Eine Menge Blut. Chuttur Singh lag draußen im Hauptraum neben der Tür. Er muss wohl seine letzten Kräfte mobilisiert haben, um so weit zu kommen, dass er den Alarm auslösen konnte. Auf dem Boden führte eine Blutspur von der Zelle bis dahin, wo er hingekrochen war. Er war in einem fürchterlichen Zustand, seine Uniform war überall aufgeschlitzt und blutdurchtränkt. Der Teil des Gesichts, den ich sehen konnte, war aschgrau. Er konnte sich kaum bewegen.« Einen Augenblick lang schwieg er. Die Erinnerung schnürte ihm regelrecht die Kehle zu.
Narraway wartete.
Auf dem Kaminsims tickte eine Uhr. Irgendwo draußen bellte ein Hund, und ein Kind rief etwas mit fröhlicher, unschuldiger Stimme.
»Er war am Sterben«, Grant fuhr mühevoll fort. »Er konnte mir nur noch sagen, dass Dhuleep geflohen sei, dass ich ihm hinterher solle. Man müsse ihn aufhalten, weil er die Route der Patrouille kenne. Ich wollte bei ihm bleiben, ihm helfen. Er war … alles war voller Blut!«
Er blickte Narraway mit einem von Schuldgefühlen verzerrten Gesicht an. »Ich hätte bleiben sollen«, sagte er mit belegter Stimme. »Ich habe ihn da liegen lassen und bin Dhuleep hinterher. Ich – ich wollte ihn auf keinen Fall entkommen lassen, weil Chuttur das von der Patrouille gesagt hat.«
»Wie lange war Dhuleep eingesperrt gewesen?«, wollte Narraway wissen.
»Ich glaube ein oder zwei Tage.«
»Also wusste keiner, dass er diese Information hatte, sonst hätte man ja die Route der Patrouille geändert oder den Zeitpunkt oder sonst etwas«, hakte Narraway nach.
»Es kann nicht bekannt gewesen sein«, stimmte ihm Grant betrübt zu. »Die Patrouille wurde nämlich aus dem Hinterhalt überfallen. Das weiß ich ganz genau.«
»Woher?«
»Tierney hat es mir gesagt.«
»Tierney?«
»Der einzige Überlebende der Patrouille. Ihm geht es sehr schlecht. Er hat gesagt, dass sie völlig überraschend überfallen worden sind. Alles nur weil Dhuleep flüchten konnte. Deshalb soll Tallis auch gehängt werden.« Seine Stimme versagte. »Mein Gott, was für eine Sauerei. Keiner sonst hat überlebt. Tallis verdient schon den Tod, nach allem, was er dem armen Chuttur Singh angetan hat. Egal was mit der Patrouille passiert ist, niemand sollte sterben, alleine auf dem Boden liegend. Ich hätte ihn nicht einfach da liegen lassen sollen.« Grant starrte ins Weite, vielleicht kehrte sich sein Blick aber auch in sein Innerstes, und nicht über die Wände des kleinen, schäbigen Hauses hinaus. »Wir haben diesen verfluchten Dhuleep ja nicht einmal erwischt!«
»Haben Sie irgendwelche Spuren entdeckt?«, wollte Narraway wissen, obwohl ihm klar war, dass das auch nichts geändert hätte.
»Da noch nicht. Wir glaubten wohl, ihm auf den Fersen zu sein und ihn einholen zu können, wenn wir schnell genug wären. Verdammt aufwendiger Einsatz war das.«
Stumm und traurig
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