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Der Weihnachtsverrat: Roman (German Edition)

Der Weihnachtsverrat: Roman (German Edition)

Titel: Der Weihnachtsverrat: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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Aber andererseits war er der beste Sanitäter, den ich jemals hatte, und ich redete ihm zu, die Ausbildung zum Arzt zu machen. Er war höchst begabt. Er gab nie auf, wenn es darum ging, jemandem das Leben zu retten oder Gliedmaßen zu erhalten. Sein Mitgefühl ist außergewöhnlich. Er brachte einige der strengeren Offiziere zur Weißglut, aber ich kenne sonst niemanden, ob Inder oder Weißen, der ihn nicht mochte. Ich bin mir darüber im Klaren, dass dies nicht unbedingt das ist, was Sie hören wollten, aber es ist die Wahrheit.«
    Latimer an seinem Tisch schloss die Augen. Er hatte einen düsteren Gesichtsausdruck, der den Schmerz über den Verrat spiegelte, und ihm war klar, dass Rawlins ihn noch tiefer empfand.
    Narraway wusste nicht, was er sagen sollte. Die Luft im Raum war zum Schneiden. Auch sein Mund war trocken. Er konnte nicht zu Tallis hinschauen. Es war deutlich, dass Rawlins nicht nur ungewöhnlich viel von ihm gehalten hatte, sondern diesen Menschen auch gemocht hatte. Zwar traf Tallis’ Verrat die Ehre seines Berufs, der Armee und seines Heimatlands, dem sie beide dienten, aber als Person war Rawlins noch viel stärker getroffen.
    Alle blickten auf Narraway und warteten darauf, dass er fortfahren würde.
    Er schluckte. Er musste etwas sagen.
    »Kannte Korporal Tallis Dhuleep Singh Ihrer Kenntnis nach? Hatte er ihn jemals erwähnt? Oder haben Sie die beiden zusammen gesehen, Dr. Rawlins?«
    »Nein.«
    »Können Sie sich irgendeinen Grund vorstellen, warum Tallis Dhuleep Singh befreien wollte?«
    »Nein.«
    »Korporal Tallis wurde nicht des Verbrechens beschuldigt, weil wir glauben, dass er so etwas getan hat, sondern einfach weil wir uns nicht vorstellen können, dass es jemand anderer war. Es ist das Ergebnis eines Ausschlussverfahrens, nicht etwas, das wir verstehen und irgendwie auf das allgemeine Verhalten von Korporal Tallis zurückführen könnten. Können Sie einen anderen als diesen Grund finden, weshalb wir ihn für schuldig halten sollten?«
    »Nein.«
    »Lag er im Zwist mit einem der Soldaten der Patrouille?«
    Rawlins blickte entsetzt. »Großer Gott, nein!«
    »Wusste er überhaupt, wer dabei sein sollte? Hatte er da Informationen?«
    »Nein! Wir haben erst mit den Soldaten zu tun, wenn sie zurückkommen, nicht vorher«, erwiderte er scharf. »Keine Ahnung, worauf Sie hinauswollen, aber es läuft nur auf verdammten Unsinn hinaus.«
    »Genau das versuche ich ja zu klären. Irgendwie fehlt uns ein wichtiger Anhaltspunkt.«
    »Wenn Sie im Krieg nach einem Sinn suchen, dann sind Sie noch unerfahrener und naiver, als ich dachte«, sagte Rawlins resigniert. »Sollten Sie diese Krankheit überleben, wird sie sich bis dann von alleine auskuriert haben!«
    Darauf wusste Narraway keine Antwort. Er dankte Rawlins und setzte sich.
    Es war zwar noch früh am Tag, aber Busby bat dennoch um Erlaubnis, die Anhörung von Major Strafford auf den nächsten Tag zu verschieben, weil dieser eine umfangreiche Aussage machen würde. Möglicherweise könnte man in Erwägung ziehen, den Prozess zu verkürzen, ohne dessen Verlauf zu beeinträchtigen. Latimer war einverstanden, und um halb fünf Uhr vertagte er die Verhandlung.
    Narraway ging ins Freie. Es wurde schon langsam dunkel. Er fühlte sich erschöpft, als ob er eine körperliche Auseinandersetzung hinter sich hätte, der er glücklicherweise nur mit Prellungen und schmerzenden Gelenken entkommen war. Er hatte nur noch diesen Abend Zeit, um einen Zeugen der Verteidigung zu benennen, den er aufrufen könnte, nachdem Strafford mit dem Bericht über seine Untersuchung fertig war, der sicherlich Tallis’ Schuld bestätigen würde.
    Tallis selbst konnte nichts beitragen. Er blieb dabei, die Tat nicht begangen zu haben, aber auch nicht zu wissen, wer Chuttur Singh getötet haben könnte.
    Wenn Narraway das fehlende Puzzleteil heute Abend nicht fand, blieb ihm nichts anderes übrig, als die Aussagen der Zeugen, die Strafford aufrufen würde, anzuzweifeln. Er konnte sich gut vorstellen, wie wenig erfolgreich das wäre. Keiner würde Fehler zugeben oder schon gemachte Aussagen zurücknehmen. Immer dasselbe zu wiederholen, würde die Aussagen eher festigen, auch wenn sie zunächst nur zögerlich gemacht worden waren. Unsicherheiten würden weggewischt, wenn man immerzu nur »Ich sah« oder »Ich war am Tatort« wiederholte. Selbst wenn Zweifel aufkämen – wer würde sie vor Gericht jetzt noch zugeben, wenn das ganze Regiment den Prozess verfolgte?
    Er ging über

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