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Der weiße Klang der Wellen: Roman (German Edition)

Der weiße Klang der Wellen: Roman (German Edition)

Titel: Der weiße Klang der Wellen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anita Shreve
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Linda.«
    »Ja.«
    Er nickt, als müßte er über diese wichtige Tatsache nachdenken.
Hinter ihnen befindet sich ihr Publikum.
    »Bist du Karussell gefahren?« fragt er.
    »Ja.«
    »Auf der Berg- und Talbahn?«
    »Ja.«
    »Wie oft?«
    »Siebenmal.«
    »Wirklich?« Er scheint aufrichtig erstaunt zu sein. Sie stellt sich
hochgezogene Augenbrauen vor, obwohl sie nebeneinander stehen und sie sein
Gesicht nicht sehen kann.
    »Möchtest du eine Zigarette?«
    »Sicher.«
    Er muß sich vom Wind abwenden, um sie anzuzünden. Er nimmt sie aus
dem Mund und reicht sie ihr. Sie inhaliert den Rauch und muß ein Husten
unterdrücken. Im Heim für mißratene Mädchen hat sie oft geraucht. Der Wind vom
Meer blies den Rauch fast augenblicklich weg. Es war eine der Sünden, die die
Mädchen leicht begehen konnten.
    »Hast du dir schon einen Dichter ausgesucht?«
    »Wordsworth«, sagt sie.
    »Gefällt er dir?«
    »Einige seiner Sachen.«
    »Hat dir ›The Prelude‹ gefallen?«
    »Ich mag ›Tintern Abbey‹.«
    Der Junge schnieft. Die Nase läuft ihm in der Kälte. Unter seinem
marineblauen Parka trägt er einen dunklen Rollkragenpullover. Der Pullover
sieht im Licht der Straßenlaterne schwarz aus, aber er könnte genausogut grün
sein. Die Spitze eines weißen Kragens schaut heraus.
    »Und wen hast du ausgesucht?« fragt sie.
    »Keats.«
    Sie nickt und nimmt einen weiteren Zug.
    »Der Park schließt in einer halben Stunde«, sagt er. »Möchtest du
noch einmal mit der Berg- und Talbahn fahren?«
    Es ist nicht klar, ob das eine Einladung ist oder ob er sie nur an
die Zeit erinnern will.
    »Nein, ist schon gut«, sagt sie.
    »Möchtest du sie kennenlernen?« fragt Thomas und deutet auf die
Jungen.
    Sie weiß es nicht. Oder, besser gesagt, sie glaubt eigentlich nicht.
Sie zuckt mit den Achseln.
    Aber die Jungen, die sie kennenlernen wollen, kommen langsam, von
Neugier getrieben, näher.
    »Das sind ohnehin Trottel«, sagt Thomas nicht ohne eine gewisse Art
widerwilliger Zuneigung.
    Plötzlich sagt einer mit lauter Stimme: »Es ist viel wärmer als die
Luft.«
    »Blödsinn«, sagt ein anderer.
    »Nein, wirklich, das Wasser ist im Oktober wärmer als im August.«
    »Wo hast du denn diesen Schwachsinn her?«
    »Du mußt bloß reinfassen.«
    »Du fliegst gleich rein, du Blödmann.«
    Die Jungen fangen an, den Jungen zu rempeln, der gesagt hat, daß das
Wasser wärmer sei. Aber er ist klein und drahtig und weicht ihnen, hüpfend und
sich wegduckend, geschickt aus, so daß er jetzt in der Mitte der Mole steht und
sie am Rand.
    »Also, was sagst du jetzt, Blödmann, willst du’s ausprobieren?« Die
Jungen lachen. »Ich wette fünfundzwanzig, daß du nicht reinspringst.«
    Thomas wendet sich Linda zu und schnaubt verächtlich, als wollte er
sagen, ich hab dir ja gesagt, daß es Trottel sind.
    Linda sieht auf ihre Füße und zur Strandpromenade hinüber. Liebespaare
gehen dort Arm in Arm, und einige steigen zum Strand hinunter. Mäntel werden
als Decken dienen. Die Straßenlampe an ihrem Kabel schwingt sachte im Wind und
bringt die Schatten ins Schlingern.
    »Er hat recht«, sagt Linda ruhig zu Thomas.
    Er sieht sie fragend an.
    »Das Wasser ist im Oktober wärmer. Ich hätte Lust auf ein Bad in
einer Nacht wie dieser«, sagt sie.
    In dem Heim für mißratene Mädchen hat sich Linda manchmal aus ihrem
Zimmer geschlichen, wenn die Nonnen schliefen, und ist zu den Felsen hinausgegangen.
Es gab einen Felsen, von dem aus man gefahrlos reinspringen konnte. Sie zog
ihren Morgenmantel und ihren Schlafanzug aus und sprang in die Brandung. Sie
mochte das Gefühl, nackt und von den Schwestern befreit zu sein.
    Neben ihnen geht der Streit weiter. Der Junge, der sicher ist, daß
das Wasser warm sei, heißt Eddie Merullo. Er legt sich auf den Bauch, krempelt
einen Ärmel hoch und will den Arm ins Wasser tauchen, um es zu prüfen. Er
reicht nicht bis hinunter. Es ist natürlich zu viel Mühe, die Mole zu
verlassen, Schuhe und Socken auszuziehen, die Hosenbeine hochzukrempeln und es
am Ufer zu überprüfen, wie es jeder vernünftige Mensch tun würde.
    »Hey, Eddie, ich laß dich runter, wenn du’s testen willst«, sagt ein
Junge namens Donny T. und lacht hysterisch. Er meint, er lasse ihn runter, um
ihn dann reinplumpsen zu lassen.
    »Scher dich bloß zum Teufel«, sagt Eddie und rappelt sich hoch.
    »Mein Angebot steht, fünfundzwanzig«, sagt Donny T.
    Linda hört dem Streit zu. Sie geht von Thomas weg und marschiert zum
äußersten Ende der Mole. Mit dem

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