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Der weiße Klang der Wellen: Roman (German Edition)

Der weiße Klang der Wellen: Roman (German Edition)

Titel: Der weiße Klang der Wellen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anita Shreve
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dabei zu wecken. Aber er wachte ohnehin
auf und zog sie enger an sich, als fürchte er, sie wolle ihn verlassen. »Geh
nicht weg«, sagte er.
    »Das werde ich nicht«, sagte sie beruhigend.
    »Wie spät ist es?«
    »Ich weiß nicht.«
    Er küßte sie. »Bist du …?« Er hielt inne, ganz gegen seine Art um
Worte verlegen.
    Sie lächelte. Thomas brauchte eine Versicherung wie jeder Mann. »Ich
fühle mich wunderbar.«
    Beruhigt streckte er sich an ihrem Körper aus. »Es gibt mehr
Erfahrungen im Leben, für die es keine Worte gibt, als du denken würdest«,
sagte er.
    »Ich weiß.«
    Das Gesicht einander zugewandt, lagen sie nebeneinander, die Augen
geöffnet.
    »Ich werde dich nicht fragen, was du gedacht hast«, sagte sie.
    »Du kannst mich alles fragen.«
    »Nun, ich dachte an den Tag, als wir auf einem Hügel über dem Wasser
saßen«, sagte sie.
    »Das war das erste Mal, daß ich dich weinen sah«, sagte er.
    »Wirklich?«
    »Du hast geweint wegen all der Schönheit, wie Kinder es tun.«
    Sie lachte. »Das kann ich jetzt nicht mehr. Diese starke,
unmittelbare Empfindung für Schönheit ist dahin. Gedämpft.«
    »Übrigens habe ich an die Nacht auf dem Pier gedacht, als du im Slip
ins Wasser gesprungen bist.«
    »Mein Gott, ich kannte dich nicht einmal.«
    »Mir hat es gefallen.« Er hielt sie mit einem Arm fest und zog mit
dem anderen die Decke herauf. »Hör zu, ich möchte jetzt bei dir schlafen. Aber
du mußt mir versprechen, mich nicht zu verlassen, während ich schlafe.«
    »Das verspreche ich«, sagte sie. Obwohl sie beide wußten, daß
Versprechen nicht mehr unbedingt eingehalten werden konnten.
    Auf den Tischen prangten weiße Tischtücher, und Tabletts mit
Lachs und schweres Silberzeug standen darauf. Im Hintergrund hörte sie das
gedämpfte Surren eines Staubsaugers. Es waren fast dreißig leere Tische,
dennoch wartete sie, einen Platz zugewiesen zu bekommen, während eine bucklige
Bedienung auf einem Plan nachsah. Als Linda zu ihrem Tisch geführt wurde,
fiepte das Handy eines Mannes mit einer der üblichen Melodien.
    Sie mochte die Anonymität beim Frühstück, die Möglichkeit, andere
beobachten zu können. Neben ihr sprachen eine ältere Frau und deren Tochter
über die Chemotherapie einer anderen Frau. Linda befühlte das Tischtuch und
fragte sich, ob die Tischwäsche jeden Tag gewaschen und gestärkt wurde.
    Thomas stand am Eingang des Speisesaals, frisch geduscht, in weißem
Hemd und grauem Pullover mit V-Ausschnitt. Er hatte sie noch nicht entdeckt,
und so konnte sie ihn einen Moment lang eingehend betrachten. Er wirkte größer
und straffer als am Tag zuvor, weniger ungepflegt und auch entspannter. Oder
glücklicher. Ja, es mochte Glück sein.
    »Du bist schnell«, sagte er und meinte ihr Duschen und Anziehen. Er
faltete seine Serviette auf und legte sie über den Schoß. Die bucklige Bedienung
brachte sofort eine weitere Tasse Kaffee an den Tisch.
    »Ich war hungrig«, sagte sie.
    »Ich bin total ausgehungert.«
    Sie lächelte. Die Sache könnte peinlich werden. Abmachungen,
zögernde Versprechungen waren zu erwarten. ›Warum planen wir kein Treffen?‹ müßte
einer von ihnen sagen. ›Ich würde dich gern wiedersehen‹, könnte der andere
sich gezwungen fühlen zu antworten. Sie fragte sich, ob es möglich war, in den
Tag hinein zu leben, die Zukunft nicht zu planen, sich nicht einmal zu
erlauben, daß der Gedanke an die Zukunft überhaupt ins Bewußtsein trat. Obwohl
solche Überlegungen nötig und seit Urzeiten üblich waren, seit den Tagen des
Sammelns und Hortens bestand die Notwendigkeit, für die mageren Zeiten
vorauszuplanen.
    »Wann geht deine Maschine?« fragte er.
    »Ich muß gleich nach dem Frühstück zum Flughafen fahren.«
    »Ich komme mit dir«, sagte er schnell.
    »Wann fliegst du?«
    »Erst am Nachmittag. Aber ich werde nicht hierbleiben. Ich warte
lieber auf dem Flughafen.«
    Sie würden mit verschiedenen Flugzeugen nach Hause zurückkehren. Es
schien vergeudete Zeit zu sein, all die Stunden getrennten Eingeschlossenseins.
    Sie bestellten verschwenderisch, und es war unmöglich, in dieser
Verschwendung nicht eine Art Feier zu sehen. Als die Bedienung fort war,
ergriff Thomas Lindas Hand und hielt sie leicht an den Fingern fest. Die Männer
in Golfhemden am Nebentisch sahen im Vergleich zu Thomas wie Jungen aus.
Unpassend gekleidet. Ungehobelt.
    »Hull ist nicht so weit entfernt von Belmont«, sagte Thomas zaghaft.
    »Wir könnten uns irgendwann in Boston zum Abendessen

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