Der weiße Klang der Wellen: Roman (German Edition)
gelbes T-Shirt und eine Latzhose und
wollte eine Hacke kaufen, er stand in der Kassenschlange mit einem Stößel in
der Hand –, waren ihm ihre porzellanzarte Haut und ihre erstaunlichen Brüste
aufgefallen, die sich unter dem Latz ihrer Hose abzeichneten. Er versuchte sofort,
ihre Aufmerksamkeit zu gewinnen. Er war ihr zu ihrem Wagen gefolgt und hatte
ein Interesse an Gartenarbeit vorgetäuscht, das sich nicht einmal den Abend
über aufrechterhalten ließ. In jener Nacht in ihrem Appartement, als sie im
Bett lagen (worin sie sich geradezu gesuhlt hatten,
dachte er jetzt), gestand er ihr, daß er keine Ahnung von Gartenarbeit habe,
und sie lachte und sagte, das sei offenkundig gewesen. Sie habe sich aber
geschmeichelt gefühlt, fügte sie hinzu, was er erst Monate später verstand, als
er erfuhr, wie sehr sie ihren üppigen Körper haßte. Und da war es schon zu
spät. ›Zu spät‹, dachte er. Ein verhängnisvolles Konstrukt, das er erst jetzt
wirklich durchschaute. Die zufällige Begegnung mit Linda zeigte bereits ihre
klärende Wirkung auf sein Denken.
Regina beugte sich zu dem Jungen hinunter, dessen Haar von Wind und
Sonne ausgebleicht war und der herausgekommen war, um die Gäste zu begrüßen. Er
wirkte scheu und bedrückt, obwohl Regina sich gut darauf verstand, jemandem ein
Lächeln zu entlocken, was ihr vielleicht auch bei ihm bald gelingen würde. Es
schien ein nettes Kind zu sein, erst zehn Jahre alt. Im nächsten Jahr würde
Roland ihn nach England ins Internat schicken. Was Thomas für eine extreme
Maßnahme hielt, um einem Kind eine Schulbildung zukommen zu lassen, und Rolands
Kultur kam ihm manchmal genauso fremd vor wie die afrikanische. Regina winkte
Thomas zu sich heran.
»Du erinnerst dich an Richard«, sagte Regina mit der aufgekratzten
Stimme, mit der Erwachsene in Gegenwart von Kindern sprechen.
Thomas streckte die Hand aus, der Junge schüttelte sie, und sein
zartes Händchen verschwand fast in seinem festen Griff.
»Wie geht es Ihnen?« fragte der Junge höflich, den Blick jedoch
nicht auf Thomas gerichtet.
»Sehr gut. Und dir?« Thomas beugte sich leicht zu dem Jungen
hinunter, der die Achseln zuckte. Für mehr reichte seine Höflichkeit nicht.
»Richard hat gesagt, daß er morgen an einem Pferderennen in Karen
teilnimmt. Er hat uns eingeladen, zuzusehen.«
Thomas konnte sich kaum vorstellen, daß der Junge imstande sein
sollte, ein Pferd zu bändigen, von einer Teilnahme an einem Rennen ganz zu
schweigen. Obwohl er als Sohn seiner Mutter sicher mit Pferden aufgewachsen
war. Einmal waren Thomas und Regina eingeladen worden, Elaine bei der Jagd in
Karen zuzusehen, der schlimmste Anachronismus, den Thomas je zu Gesicht
bekommen hatte: Sherry auf Silbertabletts, scharlachrote Röcke, und die
riesigen Leiber der Tiere, die die Hecken streiften. Die Hecken von Karen,
dachte er. Sie allein könnten Geschichten erzählen.
»Ich denke, das sollten wir tun«, sagte Thomas zu dem Jungen, und
sogar während er sprach, dachte er wieder: ›Wo ist Linda jetzt? Genau in diesem
Moment.‹
»Du bist heute abend so still«, sagte Regina, nachdem der Junge von
seiner Mutter gerufen worden war.
»Wirklich?«
»Du bist fast unhöflich.«
»Wem gegenüber?«
»Gegenüber Roland und Elaine vor allem.«
»Angesichts der Tatsache, daß Roland gerade seine tiefe Anteilnahme
darüber ausgedrückt hat, daß ich eine verkrachte Existenz bin und von meiner
Frau ausgehalten werde, schert mich das einen feuchten Dreck.«
»Thomas.«
Elaine, die in einiger Entfernung hinter Regina stand, ließ sie
beide nicht aus den Augen.
»Es ist die Migräne«, sagte er, nach einer Erklärung suchend, die
seine Frau akzeptieren würde. »Der ganze Tag war deshalb nicht normal.«
Regina schob die Finger zwischen die Knöpfe seines Hemds. »Alle
deine Tage sind doch nicht normal.«
Thomas verstand, was der Finger zu bedeuten hatte. Regina würde mit
ihm schlafen wollen, wenn sie nach Hause kamen.
»Ich weiß, daß du Migräne hattest«, sagte Regina flüsternd. »Aber
heute nacht ist die Nacht der Nächte.«
Thomas spürte, wie ihm das Herz sank.
»Ich habe die fruchtbaren Tage überprüft«, sagte sie, vielleicht, um
sich zu rechtfertigen.
Er zögerte genau eine Sekunde zu lang, dann versuchte er, den Arm um
sie zu legen. Aber Regina hatte die Abwehr oder leichte Panik schon gespürt und
bewegte sich ein wenig fort von ihm. Zu oft, fand Thomas, hatte er seine Frau
unabsichtlich verletzt.
»Ich schätze, du
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