Der weiße Klang der Wellen: Roman (German Edition)
UNICEF ,
ein Mann, der mit einer Bestimmtheit feste Meinungen von sich gab, die
verblüffend war. Man solle sich an seine Worte erinnern, nach Kenyattas Tod
komme es zu Stammeskämpfen. Eines stehe fest, wenn ein Afrikaner das Haus eines
Europäers kaufe, könne man darauf wetten, daß es verfallen würde. Daß man einem
Asiaten nicht trauen konnte, verstand sich von selbst. Thomas, der zu diesen
Themen keine Meinung hatte, fand den eingestandenen – ja, bedrohlichen –
Rassismus entsetzlich. Umgekehrt hielt Roland Thomas für hoffnungslos naiv, und
er sagte das auch. Amüsant naiv, tatsächlich. Ein ernster Amerikaner war ein
Vergnügen. ›Ihr werdet sehen‹, fügte Roland gern hinzu.
Die Nachtluft umspielte Thomas’ Arme im kurzärmeligen Hemd. In der
Ferne hörte er Musik und das verklingende Lachen einer Frau. Rauch stieg aus
der Betongarage auf, in der die Dienstboten lebten, womit sich wie immer die
Frage nach der Bewertung stellte: War das Einsperren von Bediensteten in einer
Betongarage etwas anderes als Sklaverei? Und gleichzeitig mit diesem Gedanken
tauchte die Frage auf: Wo war Linda in diesem Moment? Was machte sie gerade? Er
sah sie in einer Hütte im Busch vor sich – warum, hätte er nicht sagen können.
Wahrscheinlich entsprach es der Vorstellung, die man sich vom Friedenscorps
machte, das gute Arbeit und erträgliches Leid suggerierte. Wie leicht hätten
sie sich auf dem Markt verfehlen können und möglicherweise nie erfahren, daß
der andere überhaupt im Land war. Die Knie wurden ihm weich, wenn er daran
dachte. Erneut sah er den sanften Schwung ihrer Taille und ihrer Hüften vor
sich und die Art, wie ihre Brüste sich unter der Bluse bewegten. Eine
Sehnsucht, die er seit seiner frühen Jugend nicht mehr verspürt hatte,
durchlief schmerzlich seinen Körper.
Ihre Finger hatten gezittert, als sie ihr Gesicht berührte, dessen
war er sicher. Und dennoch wirkte sie so ruhig, so unglaublich gefaßt. Hatte
ihr die zufällige Begegnung etwas bedeutet, oder war es nur ein wehmütiger
Moment für sie, etwas, was man beiseite schieben mußte, um sein Leben
fortzusetzen? Aber eigentlich war es unmöglich, daß einer den anderen vergessen
hatte. Und dennoch hatte er eine andere Frau geheiratet, und sie war mit einem
Mann namens Peter zusammen. Er stellte sich einen farblosen Akademiker vor,
wenn auch nur, weil er sich das so wünschte. Er fragte sich, ob sie
zusammenlebten, und schätzte, daß sie es taten. Machten das nicht alle heutzutage,
vor allem in diesem Land der Gesetzlosigkeit und verbotenen Liebe?
Er wandte sich ein wenig um, lehnte die Hüfte an das Geländer und
sah durch die Flügelfenster in einen Raum, den Elaine als ihren Salon
bezeichnete, eine weitere britische Reminiszenz, die anachronistisch wirkte in
einem Land, in dem die Mehrheit in Hütten lebte. Allein unter den Gästen dieser
Party wußte er von drei Affären, und wer hätte sagen können, wie viele andere
es noch gab? Roland selbst schlief mit Elaines bester Freundin Jane, und das
seltsame war, hatte Regina gesagt, daß Elaine davon wußte und sich nichts
daraus machte. Was die Frage aufwarf: Mit wem schlief Elaine? Elaine, die
darauf nicht verzichten würde. Elaine mit ihrem nußbraunen harten Gesicht und
dem fast platinweißen Haar nach einem fast lebenslangen Aufenthalt am Äquator.
Elaine, die in Kenia geboren war und Thomas einmal verärgert gesagt hatte, sie
sei kenianische Staatsbürgerin (obwohl man seiner Meinung nach nicht den
Eindruck hatte, daß sie die Afrikaner deswegen lieber mochte). Sie hielt Pferde
und hatte die Schenkel einer Reiterin. Sie besaß eine bestimmte Art von
Schönheit, wenn auch eine, die wenig Anziehung auf Thomas ausübte, und ihre
Persönlichkeit war so wetterhart wie ihr Gesicht. Noch weniger als Roland vermochte
sie ihre Verachtung für Amerikaner zu verbergen. Sie blickte in diesem Moment
auf und bemerkte, daß Thomas sie anstarrte. Er sah schnell weg. Sie hätte
seinen Blick mißverstehen, später vielleicht sogar mit ihm flirten können.
Jesus, dachte er und drehte sich wieder zum Geländer um. Das hätte
ihm gerade noch gefehlt.
Stundenlang hatte er Migräne gehabt und war froh gewesen, im
abgedunkelten Zimmer zu liegen. Regina hatte in der Küche herumhantiert und
dann auf der Veranda gelesen. Selbst in der Abgeschiedenheit des Schlafzimmers
hatte er die Freude gespürt, selbst durch den quälenden Schleier des Schmerzes
hindurch. Und als die schlimmsten Schmerzen abgeklungen
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