Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der weiße Klang der Wellen: Roman (German Edition)

Der weiße Klang der Wellen: Roman (German Edition)

Titel: Der weiße Klang der Wellen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anita Shreve
Vom Netzwerk:
hast die Neuigkeit gehört.« Ihre Stimme war jetzt
kühl, das Barometer war gefallen, sie sah von ihm weg und trank einen Schluck
von ihrem Roséwein.
    »Welche Neuigkeit?« fragte Thomas vorsichtig.
    »Ndegwa wurde verhaftet.«
    Thomas starrte sie ausdruckslos an.
    »Heute nachmittag. Gegen fünf. Norman, wie heißt er noch mal, der
Typ von der Londoner Zeitung, er hat es mir gerade gesagt.«
    Sie deutete in Richtung des Mannes. Und bemerkte Thomas’
Überraschung. Es wäre nicht fair zu sagen, Regina hätte Thomas’ Kummer
genossen.
    »Unmöglich«, sagte Thomas, zum zweitenmal am gleichen Tag vom
Undenkbaren erschreckt. »Ich habe ihn heute mittag gesehen. Ich habe im Thorn
Tree etwas mit ihm getrunken.«
    Regina, die nicht wußte, daß er im Thorn Tree war, sah ihn scharf
an. »Sie haben ihn in der Universität verhaftet«, sagte sie. »Es ist sogar zu
Demonstrationen gekommen.«
    Thomas war wie erstarrt und konnte die Nachricht nicht fassen.
    »Er muß eine riesige Anhängerschaft haben«, sagte Regina, jetzt
genauso wachsam wie Elaine.
    »O Gott«, seufzte Thomas, erschüttert darüber, daß das Schreckliche
Realität geworden war. Er dachte an die beiläufige Art, mit der Ndegwa die
afrikanischen Frauen angesehen hatte, an seinen Scherz mit dem Wurm.
    »Jedenfalls groß genug, um in London eine Schlagzeile wert zu sein«,
sagte Regina.
    Er wartete im Schlafzimmer der Villa, der Raum war nur vom
Mondlicht erleuchtet, und in dem bläulichen Licht zeichneten sich die seltsam
femininen Möbelstücke ab, die man ihnen nach dem Einbruch geliehen hatte: der
Frisiertisch mit dem Chintz-Volant, das kamelhaarfarbene, schon etwas
abgewetzte Sofa, der Mahagonischrank mit der Tür, die nicht ganz schloß und in
dem er und Regina ihre lächerlich wenigen Kleider aufbewahrten. Er stellte sich
vor, wie der reichverzierte Schrank von London nach Mombasa verschifft und auf
einem Pferdewagen von der Küste heraufgebracht worden war. Das Lieblingsstück
einer Frau, ein Möbelstück, hatte sie vielleicht gesagt, ohne das sie nicht nach
Afrika ginge. Und was war aus der Frau geworden, fragte sich Thomas. War sie im
Kindbett gestorben? Hatte sie sich gefürchtet während der Nächte, in denen ihr
Mann auf Safari war? Hatte sie im Muthaiga-Club getanzt, während ihr Mann mit
ihrer besten Freundin auf dem Rücksitz seines Bentley schlief? Hatte sie in
diesem Bett gelegen, an chronischer Malaria erkrankt? Oder war sie braun und
hart geworden wie Elaine, und hatten Langeweile und Staub ihre Zunge scharf
werden lassen? Das Haus war eine zusätzliche Vergünstigung zu Reginas
Stipendium, der unerwartete Luxus hatte sie beide überrascht, als sie hier
ankamen. Regina hatte sich zunächst gesträubt, in Karen zu wohnen, aber die
Bougainvillea und die Durchreiche in der Küche hatten sie überzeugt, noch bevor
sie auf der Veranda ihre Gin Tonics tranken. Inzwischen hatte Regina das Haus
liebgewonnen und konnte sich nicht mehr vorstellen, in die Staaten
zurückzukehren. Auch auf die Dienerschaft wollte sie nicht mehr verzichten: der
Koch, der Gärtner, die Ayah, die sie anstellen würden, wenn Regina nur ein Kind
austragen könnte.
    Aus dem Badezimmer mit der klauenfüßigen Wanne drang ein Plätschern.
Er wußte, daß Regina bald das Nachthemd aus schwarzer Seide und Spitze anziehen
würde, das er ihr aus einem Anflug von Heimweh heraus auf dem Weg nach Afrika
bei einer Zwischenlandung in Paris gekauft hatte. Ein Nachthemd, das sie immer
anzog, wenn sie glaubte, fruchtbar zu sein; ein Nachthemd, das inzwischen eine
Aura des Versagens umgab und dessen einstiger Reiz verflogen war wie der Duft
einer Frau. Er wünschte, er könnte Regina irgendwie signalisieren, das Ding
nicht anzuziehen – hatte seltsamerweise sogar schon daran gedacht, es zu
verstecken –, aber sie würde die Geste ganz sicher mißverstehen und daraus
schließen, daß er sie für zu fett hielt. Ein Wort, das er nie benutzt hatte,
nicht einmal andeutungsweise. Ihr eigener Abscheu vor ihrem Körper beherrschte
sie so sehr, daß sie glaubte, jeder teile das verzerrte Bild, das sie von sich
selbst hatte. Inzwischen wußte er, daß es ihr Leben zerstörte, wie eine
Hasenscharte oder ein Klumpfuß das Leben eines Menschen zunichte machen können.
Es gab nichts, was er hätte sagen oder tun können, um dieses Bild auszumerzen,
das sie von sich hatte, und er nahm an, daß die Schädigung bereits in jungen
Jahren geschehen war, obwohl er es für sinnlos hielt, den Eltern die

Weitere Kostenlose Bücher