Der weiße Klang der Wellen: Roman (German Edition)
auf Bänken verteilt wie Brüder und
Onkel, die von den Frauen in der Küche nach einem Essen rausgeschickt worden
waren. Sie machten Platz für Thomas, dessen Anwesenheit nicht als ungewöhnlich
empfunden wurde, und setzten, ohne innezuhalten, ihre Unterhaltung fort, die
hauptsächlich auf Kikuju und Suaheli geführt wurde. Wie Thomas feststellte,
fanden sich auch ein paar englische Brocken darunter, wenn sich etwas nur auf
Englisch benennen ließ. Methylbromid. Bewässerungssysteme.
Sophia Loren. Die meisten waren mzees, alte
Männer in staubigen Sportjacken von anglikanischen Wohltätigkeitsbasaren,
obwohl ein großer Afrikaner eine riesige, goldumrandete Sonnenbrille und einen
schöngeschnittenen Anzug mit Nyerere-Kragen trug. Er bewegte sich kaum, seine
Haltung war beeindruckend. Die Szene erinnerte Thomas an eine Totenwache. Von
Zeit zu Zeit brachten die Frauen matoke , irio und sukimu wiki aus der
Küche nach draußen. Thomas lehnte das Essen ab, nahm aber einen Flaschenkürbis
mit Bier aus Bananen und Zucker an, das er schon einmal getrunken hatte. Kühle
Hochlandluft strich über die Terrassen, und in der Ferne, von einem anderen
Steilhang, fiel leise plätschernd ein Wasserfall herab. Er war ergriffen von
der Fremdartigkeit und Schönheit der Landschaft, von den intensiven, satten
Farben. Ein Mann erschien in der Tür von Ndegwas Hütte und wurde von einer der
Schwestern Ndegwas herausgeführt. Die Frau sah Thomas an, ignorierte ihn dann
aber zugunsten des Afrikaners mit der außergewöhnlichen Haltung. Schließlich
begriff Thomas, daß die Männer, genau wie er, auf eine Audienz bei Ndegwas Frau
warteten.
Er mußte eineinhalb Stunden warten, verspürte aber seltsamerweise
keine Ungeduld. Er dachte an Linda, und unablässig führte er sich jedes Detail
ihrer Begegnung erneut vor Augen: den überraschten Ausdruck in ihrem Gesicht,
als sie ihn entdeckte, die Art, wie sie wegsah, als Regina die Migräne
erwähnte, wie ihre Finger gezittert hatten. Er leerte mehrere Flaschenkürbisse
von dem Bier und fühlte sich eindeutig betrunken, was ihm angesichts des
Anlasses höchst unpassend erschien. Von Zeit zu Zeit schneuzte sich einer der
afrikanischen mzees auf den Boden, eine Sitte, an die
sich Thomas selbst nach einem Jahr im Land noch nicht gewöhnt hatte. Er
versuchte, ein Gedicht zu entwerfen, während er dasaß, aber ihm fielen nur
abstrakte und fremdartige Bilder ein, die, wie er wußte, zu keiner Einheit
verschmelzen würden. Er mußte ganz dringend pinkeln und fragte den mzee neben sich: Wapi choo? Der
Mann lachte über sein Suaheli und deutete auf eine kleine Hütte etwa dreißig
Meter vom Haus entfernt. Thomas war nicht überrascht, ein Loch in einem
Betonboden vorzufinden, das so penetrant stank, daß er den Atem anhalten mußte.
Er war froh für Regina, daß sie nicht mitgekommen war.
Als er zu der Bank zurückkehrte, auf der sein Hintern taub geworden
war, wartete Ndegwas Schwester auf ihn. Sein Gang war überraschend sicher, als
er ihr in die dämmrige Hütte folgte, und er fühlte sich von der plötzlichen
Dunkelheit nach dem grellen Licht wie geblendet. Ndegwas Schwester nahm den
hilflosen Mann an der Hand und führte ihn zu seinem Stuhl. Thomas erinnerte
sich, wie sich der rote Plastikbezug angefühlt hatte, noch bevor er ihn sah.
Ndegwas Frau hätte er allerdings nicht wiedererkannt. Ein hoher
purpur- und goldfarbener Turban verdeckte die Umrisse von Kopf und Haar. Ihr
Körper war in einen Kaftan von gleicher Farbe gehüllt. Doch er war beruhigt,
als er die roten Schuhe mit den Plateausohlen unter dem Gewand hervorspitzen
und den Bergkristall an ihrem Finger sah. Sie saß königlich da, fand er; vor ihr auf dem Tisch stand ein Glas Wasser, aus dem sie während des
Sprechens kleine Schlucke trank. Sie wirkte nicht wie die gebrochene Gattin
eines politischen Märtyrers, nicht einmal wie eine Rechtsmedizinerin, die sich
hatte beurlauben lassen müssen, weil ihre Brüste zu groß geworden waren. Eher
wirkte sie wie ein Regent, der seine Krone zu früh geerbt hat, wie der
minderjährige Sohn eines toten Königs.
Thomas schlug die Beine übereinander und faltete die Hände.
Verzweifelt suchte er nach Worten, die dem Anlaß entsprachen. »Es tut mir leid,
daß Ihr Mann verhaftet worden ist«, sagte er. »Ich hoffe, daß die Sache wieder
in Ordnung kommt. Kann ich irgendwie behilflich sein?«
»Ja.«
Die Antwort kam so prompt, als hätte sie das Angebot erwartet.
»Ich habe Ihren Mann gestern
Weitere Kostenlose Bücher