Der weiße Reiter
Uhtred», sagte er zu den Würfelspielern, «ein Sachse, also Abschaum,
aber er ist auch mein Freund und Bruder. Bier», er deutete auf mehrere Krüge. «Oder lieber Wein? Ja, Wulfhere hat uns am Leben
gelassen.»
«Habt ihr ihn denn am Leben gelassen?»
«Das versteht sich doch von selbst. Er ist hier und sitzt mit Guthrum an der Tafel.»
«Wulfhere? Habt ihr ihn zum Gefangenen gemacht?»
«Zum Verbündeten», antwortete Ragnar, drückte mir einen Humpen in die Hand und zog mich an seiner Seite zum Sitzen ans Feuer.
«Er hat die Seiten gewechselt.» Er grinste mich an, und ich musste lachen aus schierer Freude darüber, dass ich ihn lebend
vor mir sah. Er war ein großer Mann mit goldenem Haar und offenem Gesicht, so voller Übermut, Leben und Herzlichkeit, wie
auch das seines Vaters gewesen war. «Wulfhere und ich haben uns mit Bridas Hilfe oft unterhalten», fuhr Ragnar fort. «Und
wir haben uns angefreundet. Es ist schwer, einen Freund zu töten.»
«Du hast ihn überredet, die Seiten zu wechseln?»
«Ihn zu überreden war nicht nötig», antwortete Ragnar. «Ihm war klar, dass wir gewinnen und dass er seine Länder nur dann
behalten kann, wenn er sich auf unsere Seite schlägt. Wirst du dieses Bier auch trinken oder nur hineinstarren?»
Ich setzte den Humpen an die Lippen, ließ ein paar Tropfen durch den Bart sickern und erinnerte mich an ein Gespräch mit Wulfhere,
in dem er mir gesagt hatte, dass wir, wenn die Dänen kämen, alles daransetzen müssten, um zu überleben. Aber Wulfhere? Alfreds
Vetter und der Aldermann von Wiltunscir? Er sollte die Seiten gewechselt haben? Wie viele andere Thegn mochten seinem Vorbild
gefolgt sein und nun den Dänen dienen?
|327| «Wer ist das?», fragte Brida mit einem Blick auf Alfred. Wie er so still und allein im Schatten hockte, machte er einen geradezu
unheimlichen Eindruck.
«Ein Diener», antwortete ich.
«Er kann zu uns ans Feuer kommen.»
«Das kann er nicht», sagte ich streng. «Ich bestrafe ihn gerade.»
«Was hast du getan?», rief Brida auf Englisch. Er hob den Kopf und sah sie an, doch sein Gesicht war im Schatten der Kapuze
nicht zu erkennen.
«Ein Wörtchen, du Bastard», sagte ich, «und ich peitsche dich bis auf die Knochen aus», warnte ich ihn. Ich sah nur seine
Augen im Schatten der Kapuze. «Er hat mich beleidigt», erklärte ich auf Dänisch. «Zur Strafe muss er jetzt schweigen, und
für jedes Wort, dass er trotzdem spricht, bekommt er zehn Peitschenhiebe.»
Sie gaben sich mit meiner Antwort zufrieden. Ragnar vergaß den sonderbaren Diener und berichtete, wie er Wulfhere dazu bewegen
konnte, einen Boten mit dem Versprechen zu Guthrum zu schicken, die Geiseln zu schonen, und wie Guthrum Wulfhere von dem bevorstehenden
Angriff unterrichtete, sodass dem Aldermann genügend Zeit blieb, die Geiseln vor Alfreds Rache in Sicherheit zu bringen. Deshalb
also, dachte ich, war Wulfhere am Tag des Angriffs schon so früh weggeritten. Er hatte gewusst, dass die Dänen kommen würden.
«Du nennst ihn einen Verbündeten», sagte ich. «Heißt das, er ist nur ein Freund, oder wird er auch für Guthrum kämpfen?»
«Er ist ein Verbündeter und hat geschworen, uns zu unterstützen», antwortete Ragnar. «Jedenfalls hat er geschworen, für den
Sachsenkönig zu kämpfen.»
«Für den Sachsenkönig?», fragte ich verwirrt. «Für Alfred?»
|328| «Nein, für den wahren König. Den Sohn dieses anderen.»
Ragnar meinte Æthelwold, den Erben von Alfreds Bruder König Æthelred, und an ihn, Æthelwold, wollten die Dänen aus verständlichen
Gründen. Sie würden ihn, einen Sachsen, als König über Wessex einsetzen und damit ihre Eroberung nach innen absichern. Zwar
war Guthrum, der sich bereits König von Ostanglien nannte, darauf aus, selbst den Thron von Wessex zu besteigen, doch indem
er Æthelwold krönte, konnte er noch mehr Westsachsen dazu bringen, für ihren wahren König und damit für ihn zu kämpfen. Wenn
dann die Herrschaft der Dänen schließlich gefestigt wäre, würde Æthelwold in aller Stille umgebracht werden.
«Will Wulfhere auch für dich kämpfen?», beharrte ich.
«Natürlich will er das. Ihm bleibt nichts anderes übrig, wenn er sein Land behalten will», antwortete Ragnar. «Bloß in welchem
Kampf? Wir sitzen hier nur herum und drehen Däumchen.»
«Es ist Winter.»
«Für einen Kampf die beste Zeit. Sonst gibt es schließlich nichts zu tun.» Er wollte wissen, wo ich seit dem
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