Der weiße Reiter
kleinen Messer schnitt ich die
Strähne an den Haarwurzeln ab und band sie zu einer Schlaufe ans Heft meines Schwertes. Iseult sah mir zu. «Wozu ist das?»,
fragte sie.
Ich führte meine Hand durch die Schlaufe. «Damit ich Schlangenhauch nicht verliere. Dein Haar wird mir Glück bringen.»
Bischof Alewold verlangte in gereiztem Ton, dass sich die Frauen zurückziehen sollten. Iseult stellte sich auf die Zehenspitzen,
setzte mir meinen Wolfshelm auf, zog meinen Kopf zu sich hinunter und küsste mich durch die Öffnung in der Gesichtsplatte.
«Ich bete für dich», sagte sie.
«Ich auch», sagte Hild.
«Betet zu Odin und Thor», bat ich sie und schaute ihnen nach, als sie das Pferd wegführten. Die Frauen sollten auf die Pferde
achten. Alfred bestand darauf, dass sie zweihundert Schritt hinter unserem Schildwall blieben, damit keiner der Kämpfer in
Versuchung geriet, sich auf eines der Pferde zu schwingen und davonzugaloppieren.
|463| Es war an der Zeit, den Schildwall aufzustellen, und das ist ein mühsames Unterfangen. Einige wenige melden sich freiwillig
für die erste Reihe, die meisten aber wollen weiter hinten stehen. Osric und seine Heeresführer stießen und zerrten mit lautem
Gebrüll die Kämpfer an ihren Platz. «Gott ist mit uns!», rief ihnen Alfred zu. Er saß immer noch im Sattel und ritt den allmählich
entstehenden Schildwall ab, um die Leute anzufeuern. «Gott ist mit uns!», wiederholte er. «Wir können nicht verlieren, denn
Gott ist mit uns.» Es regnete inzwischen heftiger. Priester segneten die Männer und ließen es noch mehr regnen, indem sie
die Schilde mit geweihtem Wasser besprengten. Osrics Fyrd bildete fünf starke Reihen. Dahinter nahmen Männer mit Speeren Aufstellung.
Sie sollten ihre Waffen über die Köpfe ihrer Mitkämpfer hinweg auf die feindliche Seite schleudern, die ihrerseits Speerwerfer
in Stellung brachte. «Gott ist mit uns!», rief Alfred. «Er steht auf unserer Seite! Der Himmel wacht über uns! Die Heiligen
beten für uns! Die Engel beschützen uns! Gott ist mit uns!» Er war schon heiser. Die Männer berührten ihre Amulette, schlossen
die Augen zum stillen Gebet und zogen die Schnallen ihrer Harnische fest. In der ersten Reihe wurde genau darauf geachtet,
dass die Schilde einander berührten. Der rechte Rand eines jeden Schildes sollte über dem Schild des Nebenmannes liegen, sodass
eine feste Wand aus eisenverstärktem Lindenholz entstand. Die Dänen würden ebensolch eine Wand bilden, doch noch johlten sie
und forderten uns zum Angriff heraus. Da taumelte ein junger Mann aus der hinteren Reihe von Osrics Fyrd und übergab sich.
Zwei Hunde waren sofort zur Stelle und fraßen das Erbrochene. Nicht weit davon lag ein Speerwerfer auf den Knien und sprach
zitternd ein Gebet.
|464| Mit Steapa zur Rechten und Pyrlig zur Linken hielt ich mich vor Alfreds Bannern. Hinter uns reckte Pater Beocca betend die
Arme gen Himmel. «Lass Feuer auf sie herabfahren, großer Gott!», heulte er, die Augen geschlossen und den Kopf in den Nacken
zurückgeworfen. «Bestrafe sie für ihre Freveltaten.» Alfred ritt weiter unsere Reihen ab. Er würde im Sattel bleiben, um das
Geschehen beobachten zu können. Auch Leofric und ein Dutzend anderer Männer saßen zu Pferde. Sie sollten Alfred mit ihren
Schilden vor Speeren und Äxten schützen.
«Vorwärts!», rief Alfred.
«Vorwärts!», wiederholte Leofric den Befehl des Königs, denn Alfreds Stimme war vor Heiserkeit kaum mehr zu vernehmen.
Doch niemand rührte sich. Es war an Osric und seinen Kämpfern, den Vormarsch zu beginnen, doch jeder Mann sträubt sich dagegen,
auf einen feindlichen Schildwall loszugehen. Es hilft, wenn man betrunken ist. Ich habe mich in mancher Schlacht geschlagen,
in der beide Seiten in einer Wolke stinkender Ausdünstungen von Birkenwein und Bier kämpften, doch wir hatten weder von dem
einen noch vom anderen und mussten unseren Mut in unseren nüchternen Herzen suchen, wo an diesem nasskalten Morgen nicht viel
davon zu finden war.
«Vorwärts!», brüllte Leofric erneut, und nun setzte sich Osrics Fyrd aus Wiltunscir langsam in Bewegung. Krachend schloss
sich vor uns der Schildwall der Dänen, und der Anblick dieser
Skjaldborg
ließ unsere Seite ins Stocken geraten. So nennen die Dänen ihren Schildwall,
Skjaldborg
oder Schildburg. Die Dänen brüllten vor Lachen. Zwei jüngere Krieger traten aus den gegnerischen Reihen hervor und luden uns
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