Der weiße Reiter
dem Feind, den nächsten Schritt zu tun.
Es war Svein, der ihn tat. Er führte dreihundert bis vierhundert weitere Kämpfer aus der Festung. Die Mehrzahl von Guthrums
Männern blieb zurück, doch diejenigen, die den ersten Angriff auf Alfreds Leibwache unternommen hatten, strömten jetzt aufs
offene Feld hinaus, wo sie sich mit Sveins Truppen zusammentaten und einen Schildwall bildeten. Unter ihnen war auch Ragnar,
wie ich an seinem Banner erkennen konnte.
«Sie werden angreifen, oder?», sagte Pyrlig. Der Regen hatte das meiste Blut von seinem Gesicht abgespült, doch der klaffende
Spalt im Helm sah grauenvoll aus. «Mit mir ist alles in Ordnung», sagte er, als er meinen Blick bemerkte. «Ich habe schon
Schlimmeres überstanden bei den Auseinandersetzungen mit meiner Frau. Aber diese Hunde werden gleich kommen, stimmt’s? Sie
wollen uns niedermachen.»
«Wir können sie schlagen, Herr», rief ich Alfred zu. «Lasst all unsere Männer gegen sie antreten. Alle!»
|478| Er schien mich nicht zu hören.
«Holt Wiglafs Fyrd, Herr», bat ich.
«Unmöglich», entgegnete er, weil er fürchtete, dass, wenn der Fyrd aus Sumorsæte von seiner Stellung vor der Festung abrückte,
Guthrum mit seinen Männern ausfallen und unsere linke Flanke angreifen würde. Ich aber kannte Guthrum gut genug, um zu wissen,
dass er viel zu vorsichtig war, um so etwas zu wagen. Er fühlte sich sicher hinter den Erdwällen und überließ es Svein, die
Schlacht für ihn zu gewinnen. Guthrum würde erst dann eingreifen, wenn unser Heer geschlagen wäre. Alfred aber wollte das
nicht hören. Er war ein kluger Mann, vielleicht so klug wir nur irgendeiner, doch vom Kriegshandwerk verstand er nichts. Er
verstand nicht, dass es in der Schlacht nicht um Zahlen geht oder darum, Tafl-Steine zu bewegen, und nicht einmal darum, wer
den Stellungsvorteil hat, sondern um Leidenschaft, Irrwitz und schreiende, unbeherrschbare Raserei.
Nichts davon hatte ich bisher gefühlt. Wir hatten uns zwar wacker geschlagen, uns aber im Grunde nur verteidigt. Siegen kann
jedoch nur, wer angreift. Auch jetzt war Alfred lediglich auf Verteidigung aus. «Lass die Bannerträger bei mir», sagte er,
«und sorg dafür, dass unsere Flanke geschützt ist.»
Dieser Befehl war ehrenhaft, denn die Seite unserer Reihen war am stärksten bedroht. Dort würde der Feind versuchen uns einzuschließen,
und Alfred brauchte gute Kämpfer, um einen solchen Versuch abzuwehren. Unten am Hügel sah ich versprengte Haufen aus Osrics
Fyrd. Sie beobachteten uns. Manche würden vielleicht zurückkehren, wenn sie uns im Vorteil sähen, aber noch überwog bei ihnen
die Angst.
Svein ritt auf seinem weißen Pferd seinen Schildwall ab. |479| Er machte seinen Männern Mut, indem er uns Schwächlinge nannte, die man mit einem kleinen Vorstoß überwältigen konnte.
«Und ich sah», sagte Pyrlig, «und ich sah ein weißes Pferd, und des Reiters Name hieß Tod.» Ich starrte ihn verwundert an.
«Das steht in der Bibel», erklärte er. «Ist mir gerade eingefallen.»
«Dann vergesst es schnell wieder», entgegnete ich schroff. «Denn wir sollen den Feind töten und nicht fürchten.» Ich wandte
mich zu Æthelwold, um ihm einzuschärfen, dass er seinen Schild hochhalten sollte, sah aber, dass er sich in die hinterste
Reihe zurückgezogen hatte. Das war ein besserer Platz für ihn, dachte ich und sagte nichts. Svein brüllte, wir wären Lämmer,
die darauf warteten, geschlachtet zu werden, worauf seine Männer mit den Waffen auf die Schilde trommelten. Svein hatte jetzt
über tausend Kämpfer in seinen Reihen, und wir waren ebenso viele, aber die Dänen waren dennoch im Vorteil, weil jeder Mann
in ihrem Schildwall ein Krieger war, während die Hälfte unserer Männer aus den Fyrds von Defnascir, Thornsæta und Hamptonscir
Bauern waren. Wenn wir Wiglafs Fyrd mit in unsere Aufstellung genommen hätten, dann hätten wir Svein überwältigen können,
doch auch dann sähe es schnell anders für uns aus, wenn Guthrum den Mut hätte, mit seinen Leuten aus der Festung zu kommen.
Beide Heerführer waren vorsichtig. Aus Angst, alle Kräfte in dieser Schlacht zu verlieren, schickte keine Seite alle Kräfte
in den Kampf.
Sveins Reiter hielten sich auf der linken Seite, meinen Männern gegenüber. Er wollte uns damit einschüchtern, doch ich wusste,
dass kein Pferd in einen Schildwall galoppiert. Es würde scheuen und ließ sich leichter auf berittene Kämpfer
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