Der weite Himmel: Roman (German Edition)
bin.«
Sie arrangierte Eier, Speck und Toast auf einer Platte und trug sie zum Tisch. »Er spürte mich auf«, sagte sie, wobei sie Adam zum ersten Mal ansah. »Eines Tages lauerte er mir auf und zerrte mich in sein Auto. Dann würgte er mich, schrie auf mich ein und fuhr los, während ich halb bewußtlos neben ihm lag. Als er sich etwas beruhigt hatte, fing er an, mir alles auf seine bewährte Art und Weise zu erklären. Was ich falsch gemacht hatte, warum er mir beibringen mußte, wie sich eine gute Ehefrau zu benehmen hat. Ich hatte größere Angst als je zuvor, denn ich wußte, daß er zu allem fähig war.
Lily zwang sich zur Ruhe. Sie wußte, die Furcht konnte sie jederzeit wieder wie ein wildes Tier anspringen und an ihrer mühsam erworbenen Selbstsicherheit nagen. »Er mußte Gas wegnehmen, weil der Verkehr dichter wurde, und ich konnte aus dem Wagen springen. Der war zwar noch nicht zum Stillstand gekommen, aber ich trug keine Verletzungen davon. Auch heute noch erscheint mir das wie ein Wunder. Ich ging zur Polizei und erstattete Anzeige gegen ihn, dann fing ich an, von Ort zu Ort zu ziehen. Jedesmal fand er heraus, wo ich mich aufhielt. Beim letztenmal fürchtete ich, er würde mich umbringen, aber ein Nachbar hörte mich schreien und hämmerte gegen die Tür. Als er versuchte, sie aufzubrechen, flüchtete Jesse.«
Sie nahm Platz und faltete die Hände. »Auch ich beschloß zu fliehen. Ich nahm an, daß er mich hier niemals finden würde. Aus diesem Grund hielt ich auch kaum Kontakt zu meiner
Mutter, da ich Angst hatte, er würde über sie etwas über meinen Aufenthaltsort in Erfahrung bringen. Heute morgen habe ich noch mit ihr telefoniert. Sie hat von ihm nichts gesehen und nichts gehört.« Sie holte einmal tief Atem. »Ich weiß, daß Ben, Nate und du die Polizei informieren müßt, und ich bin bereit, alle Fragen zu beantworten. Aber soviel ich weiß, hat Jesse außer mir noch nie jemanden verletzt, und er hat immer nur seine Fäuste eingesetzt. Wenn er mich aufgespürt hätte, dann hätte er längst etwas unternommen.«
»Er wird dir nie wieder etwas zuleide tun.« Adam schob die Platte beiseite, so daß er ihre Hände berühren konnte. »Was immer auch geschieht, er wird dich nie wieder anrühren, Lily, das verspreche ich dir.«
»Wenn er der Täter ist …« Lily schloß ergeben die Augen, »wenn er hinter all diesen Morden steckt, Adam, dann bin ich dafür verantwortlich. Dann habe ich zwei Menschenleben auf dem Gewissen.«
»Nein, das hast du nicht.«
»Wenn es Jesse war«, fuhr sie gelassen fort, »dann muß ich diese Tatsache akzeptieren und damit leben. Ich habe mich hier verstecken wollen, Adam, und ich habe dich, Will und die Ranch dazu benutzt, allem Unangenehmen aus dem Weg zu gehen. Es funktioniert nicht.« Seufzend drehte sie die Hände mit den Handflächen nach oben. »Ich darf nicht länger den Kopf in den Sand stecken, auch das habe ich in der Therapie gelernt. Ich bin von Natur aus nicht mutig, so wie Will und Tess. Die Courage, über die ich verfüge, habe ich mir anerzogen. Ich hatte solche Angst, dir das alles zu erzählen, aber nun wünschte ich, ich hätte dir von Anfang an reinen Wein eingeschenkt, dann würde mir der Rest jetzt leichter fallen.«
»Du hast noch mehr zu sagen?«
»Nicht über Jesse, und nicht über die furchtbaren Geschehnisse hier, aber es fällt mir trotzdem schwer zu sprechen.«
»Du kannst mit mir über alles reden, Lily.«
»Obwohl letzte Nacht so Furchtbares geschehen ist, drehen sich meine Gedanken immer wieder um einen einzigen
ganz bestimmten Moment.« Sie lachte nervös auf und entzog ihm ihre Hände. »Iß doch bitte, sonst wird alles kalt.«
»Lily.« Verblüfft preßte Adam die Finger gegen seine Schläfen, dann füllte er sich gehorsam einen Teller und griff nach seiner Gabel. »Von welchem Moment sprichst du?«
»Ich sagte ja schon, daß ich dachte, du wolltest von mir das, was Männer für gewöhnlich von einer Frau wollen. Eben nur das Eine. Das liegt nun einmal in ihrer Natur, und ich konnte mir nicht vorstellen, daß bei dir mehr dahinterstecken könnte.« Sie blickte auf, als er sich verschluckte und zu husten begann. »Mir kam es jedenfalls so vor«, verteidigte sie sich. »Und du hast nie etwas gesagt oder getan, was mich vom Gegenteil hätte überzeugen können. Bis gestern abend, bis zu dem Moment, als du mein Gesicht in deine Hände genommen und mich angesehen hast. Dann hast du mich geküßt, und ich vergaß die Welt um
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