Der weite Himmel: Roman (German Edition)
abzuladen.
Es war einer der schönsten Augenblicke seines Lebens gewesen.
Sacht hauchte er einen Kuß auf das blutverklebte Haar, bevor er es sorgsam in die Kiste zurücklegte.
Alle bekamen es langsam mit der Angst zu tun, dachte er, als er die Kiste in das Loch im Boden zurückstellte und Erde
und Steine darüberschaufelte. Bangten um ihr Leben, sahen an jeder Ecke Gespenster. Und das alles seinetwegen.
Als er sich erhob und in die kalte Wintersonne blickte, wußte er, daß er der mächtigste Mann in ganz Montana war.
Kapitel 7
Wenn jemand Tess vorhergesagt hätte, sie würde einmal eine frostige Januarnacht in einem Pferdestall verbringen, knöcheltief in Blut und Fruchtwasser waten und auch noch jede einzelne Minute davon genießen, hätte sie ihn an den Psychiater verwiesen, den ihr Agent zu konsultieren pflegte.
Doch genau das hatte sie zwei Nächte hintereinander getan. Tess hatte die Geburt zweier Fohlen miterlebt, ja, sogar einen kleinen Teil dazu beigetragen, ihnen auf die Welt zu helfen. Und sie war begeistert von diesem Ereignis.
»Eins ist sicher: Das lenkt einen vollkommen von seinen eigenen Problemen ab, nicht wahr?« Sie trat einen Schritt zurück und beobachtete zusammen mit Adam und Lily, wie das Neugeborene versuchte, sich zum ersten Mal auf die wackeligen Beinchen zu stellen.
»Du hast ein Händchen für Pferde«, lobte Adam.
»Das kann ich nicht beurteilen, aber die Arbeit mit ihnen hält mich bei Verstand. Alle sind hier so nervös und schreckhaft. Gestern bin ich aus dem Hühnerstall gekommen und fast in Billy hineingerannt. Ich weiß nicht, wer von uns beiden höher in die Luft gesprungen ist.«
»Es ist jetzt zehn Tage her.« Lily rieb sich ihre klammen Hände. »Langsam kommt mir alles so unwirklich vor. Ich weiß, daß Will noch ein paarmal mit der Polizei gesprochen hat, aber sie sind noch nicht viel weiter.«
»Sieh mal.« Adam legte seinen Arm um ihre Schultern und zog sie an seine Seite, als das Fohlen vorsichtig zu saugen begann. »Das hier ist wirklich.«
»Meine Rückenschmerzen sind leider auch Wirklichkeit.« Tess hielt sich das Kreuz. Ein guter Vorwand, die beiden alleine
zu lassen, dachte sie. Ein heißes Bad und ein paar Stunden Schlaf, dann war sie wieder in Form. Sie hatte vor, später noch Nate zu besuchen. »Ich gehe lieber wieder ins Haus.«
»Du warst mir eine große Hilfe, Tess. Vielen Dank.«
Lächelnd griff sie nach ihrem Hut und stülpte ihn sich auf den Kopf. »Himmel, wenn meine Freunde mich jetzt so sehen könnten.« Bei dieser Vorstellung mußte sie kichern, als sie den Pferdestall verließ und in den kalten Wintermorgen hinaustrat.
Was würde man in ihrem bevorzugten Schönheitssalon wohl von ihr denken, wenn sie in diesem Zustand zur Tür hereinkäme? Über das, was unter ihren Nägeln klebte, wollte sie lieber erst gar nicht nachdenken, ihre Jeans waren mit Blut und Resten der Nachgeburt verschmiert, und ihr Haar …
Vermutlich würde Mr. William, ihr Stylist, vor Schreck ohnmächtig auf seinem pinkfarbenen Teppichboden zusammenbrechen.
Wenigstens würde sie in L. A. Furore machen, wenn sie ihre Rancherfahrung zum besten geben würde. Sie sah sich schon auf einer eleganten Cocktailparty die Gastgeberin mit diversen Geschichten unterhalten: wie sie Ställe ausgemistet, Eier eingesammelt und Rinder kastriert hatte – letzteres würde sie ganz besonders genüßlich ausschmücken – und wie sie jeden Tag in die Berge geritten war. Ein krasser Gegensatz zu den Schönheitsfarmen, die unter der High-Society Hollywoods so beliebt waren, grübelte Tess versonnen. Zu guter Letzt würde sie hinzufügen, daß in der Gegend auch noch ein psychopathischer Mörder frei herumgelaufen war.
Ein Schauer lief ihr über den Rücken, und sie hüllte sich fester in ihren Mantel. Streich das aus deinem Gedächtnis, befahl sie sich. Sinnlos, näher darüber nachzudenken.
Dann sah sie Willa regungslos auf der Veranda stehen. Sie blickte zu den Bergen hinüber. Willa schien wie Lots Weib zur Salzsäule erstarrt zu sein, stellte Tess fest, und hatte offenbar keine Ahnung, welch schönes Bild sie bot. Willa war die einzige Frau in Tess’ Bekanntenkreis, die sich ihrer weiblichen Reize nicht bewußt war. Sie lebte nur für ihre Arbeit;
außer der Ranch, dem Land, dem Vieh und ihren Leuten zählte nichts für sie.
Tess lag schon eine sarkastische Bemerkung auf der Zunge, doch sie unterdrückte sie, als sie Willas Gesichtsausdruck sah. Ihre Halbschwester schien am
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