Der weite Himmel: Roman (German Edition)
ein paar Eier, glaube ich.«
Lily stieß einen zittrigen Seufzer aus. »Gut.« Zuerst machte sie sich an der Kaffeemaschine zu schaffen und goß ihm dann eine Tasse ein. Doch ihr Blick wich ihm aus. »Einige Einzelheiten kennst du ja schon«, begann sie, während sie im Kühlschrank herumkramte. »Du weißt, daß ich als Lehrerin gearbeitet habe. Ich bin weder so begabt noch so kreativ wie meine Mutter. Sie ist eine erstaunliche Frau, Adam, so stark und voller Leben. Erst im Alter von ungefähr zwölf habe ich verstanden, wie sehr er sie verletzt hat, mein Vater, meine ich. Ich hörte einmal, wie sie sich mit einer Freundin unterhielt. Sie weinte dabei. Damals hatte sie gerade meinen Stiefvater kennengelernt, und sie fürchtete sich, wie ich aber erst später begriff, vor den Gefühlen, die sie ihm entgegenbrachte. Sie sprach davon, ihr Leben lieber allein verbringen zu wollen. Sie wollte sich von keinem Mann je wieder verletzen lassen. Mein Vater hatte sie hinausgeworfen, obwohl sie ihn über alles geliebt hatte. Sie sagte, er hätte sie davongejagt, weil sie ihm keinen Sohn geboren hatte.«
Adam sah schweigend zu, wie sie den Speck in eine schwarze gußeiserne Bratpfanne gab und zum Brutzeln brachte. »Also war es meine Schuld, daß sie allein leben mußte und sich vor einer neuen Beziehung fürchtete.«
»Du weißt genau, daß das nicht stimmt, Lily. Es war allein Jack Mercys Schuld.«
»In meinem Herzen weiß ich es.« Sie lächelte verhalten. »Aber der Kopf sagte etwas anderes. Auf jeden Fall habe ich diesen Tag nie vergessen. Zwei Jahre später hat sie dann meinen Stiefvater geheiratet, und die beiden sind sehr glücklich geworden. Er ist ein wundervoller Mann. Mit mir war er ziemlich streng. Nie grob oder unfreundlich, weißt du, aber streng, und immer ein bißchen zurückhaltend. Er wollte meine Mutter und hat mich sozusagen als Zugabe bekommen, und obwohl er alles, was in seiner Macht stand, für mich getan
hat, herrschte zwischen uns doch nie diese herzliche Zuneigung, wie sie zwischen Vater und Tochter so oft vorkommt. Ich glaube, wir beide haben zu spät die Gelegenheit bekommen, uns kennenzulernen.«
»Und du hast dich nach dieser Art von Zuneigung gesehnt.«
»Verzweifelt sogar.« Lily begann, Eier in eine Schüssel zu schlagen. »Das ist mir während der Therapie, die ich später gemacht habe, klargeworden. Heute kann ich die damalige Situation natürlich durchschauen. Hat man erst einmal Abstand gewonnen, dann sieht man vieles ganz anders. Weißt du, ich hatte eben nie einen Vater, der mich liebte, der für mich ein Vorbild sein konnte und für mich da war. Kein Mann hat sich jemals ernsthaft für mich interessiert, und während meiner Schulzeit war ich Jungen gegenüber immer extrem schüchtern. Ich bin nie viel ausgegangen, dafür habe ich meine Studien um so ernster genommen. Viel zu ernst, fürchte ich. Ich konnte die Dinge nicht so einfach hinnehmen, wie meine Mutter es tat, also vergrub ich mich in Zahlen und Fakten. Da ich gut mit Kindern umgehen konnte, schien es mir nur logisch, Lehrerin zu werden. Ich war zweiundzwanzig, als ich Jesse kennenlernte, in einem Coffeeshop in der Nähe meines Apartments, der ersten Wohnung, die ich ganz für mich allein hatte, und das auch erst seit einem Monat. Er war so charmant, sah so gut aus und zeigte sich mir gegenüber so aufmerksam, daß ich von ihm vollkommen hingerissen war.«
Mechanisch streute sie Dill in die Eiermasse und würzte mit Pfeffer nach. »Er hat mir regelrecht den Hof gemacht. Das war eine ganz neue Erfahrung für mich. Am selben Abend sind wir noch zusammen ins Kino gegangen. Danach hat er mich jeden Tag angerufen, mir Blumen und kleine Geschenke mitgebracht und dergleichen mehr. Er war Automechaniker von Beruf und hat dieses fast schrottreife Auto, das ich damals fuhr, wieder einigermaßen fahrtüchtig gemacht.«
»Du hast dich also in ihn verliebt«, folgerte Adam.
»O ja, blindlings und bis über beide Ohren. Ich habe ja bei Jesse nie hinter die Fassade geblickt, dazu fehlte mir die Erfahrung
in solchen Dingen. Erst später ist mir nach und nach aufgegangen, wie viele Lügen er mir aufgetischt hatte, über seine Familie, seine Vergangenheit, seine Arbeit. Seine Mutter lebte, wie ich später herausfand, in einer psychiatrischen Anstalt. Sie hatte ihn mißhandelt, als er noch ein Kind war, sie hatte getrunken und Drogen genommen. All das tat er auch, aber das merkte ich erst, als wir verheiratet waren. Als er mich das erste
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