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Der weite Himmel: Roman (German Edition)

Der weite Himmel: Roman (German Edition)

Titel: Der weite Himmel: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nora Roberts
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bald auf den Weg und bleibt nicht so lange draußen. Wir bekommen Schnee.« Sie warf einen kurzen Blick zum Himmel, wo sich eine Wolkenwand zusammenzog. »Sag ihm, ich hätte nordwestlich von hier eine Herde Großohrhirsche gesichtet. Ungefähr anderthalb Meilen zu reiten. Vielleicht würdest du sie gerne sehen.«
    »O ja.« Lily klopfte auf ihre Jackentasche. »Ich habe einen Fotoapparat dabei. Warum kommst du denn nicht mit? Bess hat mich literweise mit Kaffee versorgt.«
    »Tut mir leid, ich hab’ noch zu tun. Außerdem kommt Nate später vorbei.«
    »So?« Tess hob eine Augenbraue und fragte betont beiläufig: »Wann denn?«
    Willa legte den ersten Gang ein. »Später«, wiederholte sie und brauste auf das Haus zu.
    Ihr war nicht entgangen, daß Tess ein Auge auf Nate geworfen hatte, und sie gedachte nicht, diese Sache auch noch zu unterstützen. Ihrer Meinung nach war Nate diesem gerissenen Hollywoodpiranha nicht gewachsen.
    Allerdings schien Nate selbst auf ein kleines Abenteuer erpicht zu sein, aber Männer verloren ja leicht den Kopf, wenn es um hübsche, gutgebaute Frauen ging. Willa nahm ihre Thermoskanne vom Beifahrersitz und stieg aus. Tess war hübsch, gestand sie sich mit einem Anflug von Neid ein. So selbstbewußt und schlagfertig, so überzeugt davon, daß sie ihren Willen durchsetzen würde. Und sie war sich ihrer femininen Ausstrahlung und ihrer Macht über Männer sehr sicher.
    Willa fragte sich, ob sie wohl selbst so geworden wäre, wenn sie noch eine Mutter gehabt hätte, wenn sie in einer anderen Umgebung aufgewachsen wäre, wo sich die Gespräche der Frauen um Frisuren, Lippenstiftfarben und Parfüms drehten. Nicht, daß ihr daran gelegen wäre, versicherte sie sich, als sie das Haus betrat und ihre Handschuhe auszog. All diese belanglosen Nichtigkeiten interessierten sie nicht besonders, doch langsam kam sie zu der Einsicht, daß eben jene Dinge das Selbstvertrauen einer Frau im Umgang mit Männern gewaltig heben konnten. Und ihr Selbstvertrauen in dieser Hinsicht ließ zu wünschen übrig, besonders im Umgang mit einem ganz bestimmten Mann.
    Willa schüttelte ihren Mantel aus und hängte ihn auf, dann ging sie mit der Thermoskanne zum Büro ihres Vaters. Bislang hatte sie dort noch nichts verändert. Der Raum mit den Jagdtrophäen an den Wänden und den Whiskeykaraffen war immer noch Jack Mercys persönliche Domäne. Jedesmal, wenn sie ihn betrat, wenn sie sich an seinen Schreibtisch setzte, verspürte sie ein leises Ziehen in der Magengegend.
    Trauer? fragte sie sich. Oder Furcht? Sie war sich inzwischen nicht mehr so sicher. Doch sobald sie sich in seinem Büro aufhielt, wurde sie von einer Welle unerfreulicher, unerwünschter Emotionen und Erinnerungen überflutet.
    Zu Lebzeiten ihres Vaters hatte sie diesen Raum nur selten betreten. Wenn er nach ihr schickte und sie anwies, ihm gegenüber am Schreibtisch Platz zu nehmen, hieß das für gewöhnlich, daß Kritik zu erwarten war oder daß er ihr weitere Pflichten aufzubürden gedachte.
    Wenn sie die Augen schloß, konnte sie ihn vor sich sehen, eine Zigarre zwischen den Fingern und, wenn es Abend und die Arbeit getan war, ein Glas Whiskey in der Hand.
    »Mädchen«, so hatte er sie stets gerufen. Ihren Namen gebrauchte er so gut wie nie. Mädchen, da hast du ja mal wieder Mist gebaut.
    Mädchen, vielleicht solltest du dich ein bißchen mehr anstrengen.
    Such dir einen Mann und setz endlich Kinder in die Welt, Mädchen, zu mehr taugst du ohnehin nicht.
    Hatte sie in diesem Raum eigentlich jemals ein lobendes Wort gehört? fragte sie sich und rieb sich fest über die Schläfen. Hatte sie auch nur ein einziges Mal sein Büro betreten und ihn lächelnd hinter dem Schreibtisch sitzend vorgefunden? Hatte er je gesagt, daß er stolz auf sie war? Auf das, was sie geleistet hatte?
    Doch sie konnte sich nicht an eine einzige Gelegenheit erinnern. Freundlichkeit und lobende Worte waren nicht eben Jack Mercys Stärke gewesen.
    Was würde er wohl sagen, wenn er jetzt zur Tür hereinkommen und sie auf seinem Platz sitzen sehen würde? Wenn er wüßte, was auf seinem Land geschehen, was einem seiner Männer zugestoßen war, während sie die Verantwortung trug?
    Da hast du mal wieder Mist gebaut, Mädchen.
    Einen Augenblick lang legte sie den Kopf auf die Arme und wünschte, sie hätte eine Antwort auf diese Frage. Rein verstandesmäßig wußte sie genau, daß sie an diesem hinterhältigen Mord keinerlei Schuld trug. Trotzdem lastete das Gefühl, versagt

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