Der weite Himmel: Roman (German Edition)
zu haben, bleischwer auf ihrer Seele.
»Grübeln hilft jetzt auch nicht weiter«, murmelte sie, zog eine Schublade auf und nahm die Bücher heraus, in denen alles, was auf Mercy geschah, detailliert festgehalten wurde.
Sie mußte die Eintragungen sorgfältig durchgehen und sich vergewissern, daß alles seine Richtigkeit hatte, ehe Nate kam, um die Bücher zu überprüfen.
Willa unterdrückte entschlossen ihren hilflosen Zorn darüber, daß Nate und Ben das Recht eingeräumt worden war, die Ranch zu kontrollieren. Und so ging sie an die Arbeit.
Fast zwei Meilen vom Haupthaus entfernt war Lily eifrig damit beschäftigt, die Großohrhirsche zu fotografieren. Der Anblick dieser Tiere in ihrem zottigen Winterfell reizte sie zum Lachen. Die Fotos würden vermutlich alle leicht verwackelt sein – Lily wußte, daß sie längst nicht so gut mit der Kamera umzugehen wußte wie ihre Mutter –, doch sie würden ihr Freude bereiten.
»Entschuldigt bitte.« Rasch hängte sie sich die Kamera wieder um den Hals. »Ich halte euch viel zu lange auf.«
»Wir haben noch etwas Zeit.« Adam blickte prüfend zum Himmel, dann wandte er sich an Tess. »Du reitest schon ganz ordentlich. Hast einiges dazugelernt.«
»Reiner Selbstschutz«, behauptete Tess, obwohl sie insgeheim stolz auf das Lob war. »Ich möchte nie wieder solchen Muskelkater haben wie nach meinen ersten Reitstunden. Außerdem brauche ich Bewegung.«
»Gib doch zu, daß es dir Spaß macht.«
»Okay, ich geb’s zu. Aber wenn es noch kälter wird, dann kriegt mich vor dem Frühjahr keiner mehr in den Sattel.«
»Es wird noch erheblich kälter, aber bis dahin hast du dich daran gewöhnt.« Adam beugte sich vor und tätschelte seinem Pferd den Hals. »Und dann bist du längst süchtig danach. Jeder Tag, an dem du nicht ausreitest, ist für dich ein verlorener Tag.«
»Jeder Tag, an dem ich nicht über den Sunset Boulevard bummeln kann, ist für mich ein verlorener Tag.«
Er lachte nur. »Wenn du wieder in Los Angeles bist, dann wirst du den Himmel und die Berge hier vermissen und nach Montana zurückkommen.«
Neugierig musterte sie ihn über den Rand ihrer Sonnenbrille
hinweg. »War das eine Prophezeiung? Indianische Mystik und Wahrsagerei?«
»Falsch. Psychologie für Anfänger. Gibst du mir bitte einmal die Kamera, Lily? Ich möchte ein Foto von dir und Tess machen.«
»Gerne. Du hast doch nichts dagegen, oder?« fragte Lily ihre Schwester.
»Ich hab’ noch nie einer Kamera den Rücken zugedreht.« Tess trieb ihre Stute sachte an, lenkte sie um Adams herum, um sich neben Lily zu stellen. »Gut so?«
»Ausgezeichnet.« Adam hob die Kamera. »Zwei schöne Frauen auf einem Bild.« Er drückte zweimal nacheinander auf den Auslöser. »Wenn ihr euch das Foto anschaut, dann werdet ihr sehen, wie ähnlich ihr euch seid. Ihr habt die gleiche Gesichtsform, ja, ihr sitzt sogar auf die gleiche Weise im Sattel.«
Unbewußt richtete sich Tess auf. Sie empfand zwar eine Art nachsichtiger Zuneigung für Lily, doch sie war noch längst nicht bereit, sie als Schwester zu akzeptieren. »Kann ich den Apparat mal haben? Ich will euch beide knipsen. Die Blume des Südens und den edlen Wilden.«
Kaum waren die Worte gesagt, da biß sie sich auch schon betroffen auf die Lippen. »Hoppla. Ich neige dazu, Menschen bestimmten Gruppen zuzuordnen. Muß eine Berufskrankheit sein. Ich hab’s aber nicht böse gemeint.«
»Ich habe es auch nicht als Beleidigung aufgefaßt.« Adam reichte ihr die Kamera. Er mochte Tess gerne. Ihm gefiel die Art, wie sie auf ihre Ziele lossteuerte und wie sie unverblümt ihre Meinung sagte. Er bezweifelte stark, daß sie es als Kompliment auffassen würde, wenn sie erfuhr, daß er gerade diese Eigenschaften auch an Willa besonders schätzte. »Und in welche Schublade gehörst du?«
»Ich? Ich bin der Typ oberflächliche Partylöwin. Deswegen verkaufen sich auch meine Drehbücher so gut. Bitte lächeln!«
»Mir gefallen deine Filme«, erklärte Lily, als Tess die Kamera sinken ließ. »Sie sind spannend und unterhaltsam.«
»Und sie reizen sämtliche Klischees bis zum Äußersten aus. Aber was soll’s?« Tess gab Lily den Fotoapparat zurück.
»Wenn du für die breite Masse schreibst, dann mußt du dich eben auf ein Seifenoperniveau einlassen.«
»Ich glaube, du unterschätzt sowohl dich als auch dein Publikum.« Adam sah zum Waldrand hinüber.
»Schon möglich, aber …« Tess brach ab, da sie eine Bewegung bemerkte. »Irgendwas steckt da
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