Der weite Himmel: Roman (German Edition)
und rollte ihr über die Wange, als Nate aus der Küche kam und auf sie zueilte. »O Gott, wer kann denn nur Bambis Mama so etwas Furchtbares antun?«
»Ganz ruhig, Süße.« Nate legte ihr sanft den Arm um die Schulter. »Setzen Sie sich erst einmal hin.«
»Lily, geh mit Tess ins Haus!«
Lily schüttelte abwehrend den Kopf. »Nein, mir geht es gut. Wirklich. Ich mache uns jetzt einen Tee. Wir können alle eine Tasse Tee vertragen. Entschuldigt mich bitte.«
»Adam.« Willa sah Lily nach, die auf die Küche zuging. »Was, zum Teufel, geht hier vor? Hast du unterwegs ein Reh geschossen?«
»Ich nicht. Aber ein anderer.« Angeekelt schlüpfte er aus seinem Mantel und warf ihn über das Geländer. »Er hat es in Stücke gerissen und dann liegengelassen. Ihm ging es weder um das Fleisch noch um eine Jagdtrophäe, er wollte einfach nur töten.« Adam rieb sich mit den Händen über das Gesicht. »Die Wölfe waren schon an dem Kadaver. Ich habe in die Luft geschossen, um sie zu vertreiben und mir die Sache genauer anzusehen, aber dann kamen Lily und Tess dazu, und ich wollte sie lieber so schnell wie möglich nach Hause bringen.«
»Ich hole sofort meinen Mantel.«
Adam hielt Willa zurück. »Dazu besteht kein Anlaß. Erstens habe ich genug gesehen, und zweitens wird jetzt ohnehin nicht mehr viel davon übrig sein. Das Reh ist sauber in den Kopf geschossen worden, dann wurde es ausgeweidet, zerlegt und liegengelassen. Der Schwanz fehlt, den muß der Täter wohl mitgenommen haben. Als kleines Andenken sozusagen.«
»Wie bei den anderen?«
»Genau. Es scheint sich um denselben Täter zu handeln.«
»Ist es noch möglich, seine Spur zu verfolgen?« erkundigte sich Ben.
»Das Tier wurde vor circa vierundzwanzig Stunden getötet. Seitdem hat es geschneit, und ich fürchte, da wird jetzt noch mehr Schnee runterkommen. Wenn ich die Verfolgung sofort hätte aufnehmen können, dann hätte ich vielleicht noch Glück gehabt.« Er hob die Schultern, eine Geste, die Enttäuschung und Resignation zugleich ausdrückte. »Aber ich konnte Lily und Tess unmöglich alleine zurückreiten lassen.«
»Trotzdem sehen wir lieber noch einmal nach, vielleicht finden wir ja doch noch einen Anhaltspunkt.« Ben griff bereits nach seinem Hut. »Willa, bitte Nate, daß er Shelly nach Hause fährt, ja?«
»Ich komme mit.«
»Das ist vollkommen überflüssig, und du weißt es.« Ben faßte sie bei den Schultern. »Vollkommen überflüssig.«
»Ich komme trotzdem mit. Ich hole nur noch meinen Mantel.«
Kapitel 3
Der Schnee fiel jetzt heftiger. Da es dunkel zu werden begann, war nichts außer einem dichten Vorhang dicker weißer Flocken zu sehen, der das Haus von der Außenwelt abzuschneiden schien.
Lily starrte angestrengt hinaus. Sie versuchte, durch die dichten Flocken hindurch irgend etwas zu erkennen, während die Wärme, die von dem prasselnden Kaminfeuer ausging, ihr wohltat. Die Sorge um Adam zerrte jedoch an ihren Nerven.
»Würdest du die Güte haben, dich endlich hinzusetzen?« fauchte Tess gereizt, obwohl sie sich wegen des scharfen
Tons in ihrer Stimme verabscheute. »Du kannst im Moment überhaupt nichts tun.«
»Aber sie sind schon so lange fort.«
Tess wußte genau, wieviel Zeit inzwischen verstrichen war. Exakt achtundneunzig Minuten. »Ich sagte doch schon, du kannst nichts tun.«
»Du möchtest doch sicher gern noch einen Tee. Der hier ist ja eiskalt.« Lily wollte sich gerade umdrehen, um nach dem Tablett zu greifen, als Tess unvermutet aufsprang.
»Hör gefälligst damit auf! Du brauchst weder mich noch jemand anderen zu bedienen, du bist ja schließlich nicht als Hausmädchen angestellt. Jetzt setz dich um Himmels willen wieder hin!«
Zitternd preßte sie die Finger gegen die Augen und atmete tief durch. »Tut mir leid«, murmelte sie, als Lily wie angewurzelt stehenblieb und sie aus großen, erschrockenen Augen ansah. »Ich habe kein Recht, dich anzuschnauzen. Ich habe nur noch nie etwas Derartiges gesehen. Noch nie!«
»Schon gut.« Lily entspannte sich und blickte Tess mitfühlend an. »Es war schrecklich, ich weiß.«
Volle dreißig Sekunden lang blieben sie schweigend auf der langen Ledercouch sitzen, während der Wind um das Haus pfiff und die Fensterläden bedrohlich klappern ließ. Dann mußte Tess plötzlich ein klägliches Lachen unterdrükken.
»Oje.« Sie atmete einmal vernehmlich aus. »In was sind wir da nur hineingeraten, Lily?«
»Ich weiß es nicht.« Der Wind fuhr mit einem dämonischen
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