Der Weltensammler: Roman (German Edition)
nur im Ihram. Aber mein Onkel war in der Sänfte zusammen mit Sheikh Abdullah, und er hat ihn beobachtet. Etwas Seltsames geschah, etwas Überraschendes. Sheikh Abdullah begann sich hin und her zu werfen, als leide er unter all den Sünden, die er gerade gestanden hatte. Er babbelte vor sich hin, immer heftiger wurden seine Zuckungen, die Sänfte war in Gefahr, mein Onkel versuchte ihn zu beruhigen, redete auf ihn ein. Aber Sheikh Abdullah war nicht zu bremsen. Er schrie ihn an, er spuckte die Worte geradezu aus. Du bist schuld, bei Gott, du bist schuld. Strecke deinen Bart hinaus, gib mir Frieden, und Gott wird es uns beiden leichter machen. Mein Onkel gab seinem Wunsch nach, er blickte hinaus, nach vorne, und horchte, was hinter seinem Rücken geschah. Sheikh Abdullah war noch ein wenig unruhig, dann ließen die Zuckungen nach. Ich habe ja immer bezweifelt, daß Sheikh Abdullah ein Derwisch ist. Aber diese Erfahrung, sie hat mich verunsichert.
GOUVERNEUR: Dein Onkel verfügt offensichtlich nicht über deinen scharfen Verstand. Der Anfall des Sheikhs war vorgespielt!
MOHAMMED: Woher wissen Sie das?
GOUVERNEUR: Es steht in seinem Buch. Er hat ihn vorgetäuscht, um in Ruhe nach hinten zu schauen und den Berg Arafah zeichnen zu können.
MOHAMMED: Dann war mein Verdacht richtig, von Anfang an. Wieso habe ich ihn nicht erwischt, ich hätte ihn erwischen müssen.
KADI: Immerhin war er gezwungen, vorsichtiger zu sein.
GOUVERNEUR: Vorsichtiger? Er scheint sich völlig frei bewegt zu haben. In seinem Buch gibt er sogar genaue Maße und Entfernungen an. Er scheint die Große Moschee, Gott möge sie heiligen, ausgemessen zu haben. Kannst du uns erklären, wie das möglich war?
MOHAMMED: Ich habe keine Ahnung.
SHARIF: Vielleicht hat er seine Schritte gezählt?
GOUVERNEUR: Zu ungenau und bei dem Gedränge schwer durchzuführen.
SHARIF: Denk nach, du bist ein kluger Junge, denk nach.
MOHAMMED: Oh Gott, er hat alles mit dem Stock ausgemessen, auf den er sich stützte. Er hinkte ein wenig, er hat behauptet, er sei auf der Reise von Medina nach Mekka vom Dromedar gestürzt. Ich habe das nicht gesehen, aber er war ein erbärmlich schlechter Reiter. Diesen Stock, er ließ ihn oft fallen, er setzte sich hin, und schob ihn herum. Er wollte eine ganze Nacht bei der Kaaba verbringen. Wir haben lange gebetet und mit einigen der Händler geredet. Mir fielen die Augen zu. Als ich aufwachte, stolperte jemand über mich, und Sheikh Abdullah war nirgendwo zu sehen. Ich stand auf und sah mich um und entdeckte ihn schließlich nahe der Kaaba, er schlich um sie herum. Er faßte die Kiswah immer wieder an, unten, wo sie schon zerfranst ist, und ich hatte den Eindruck, er wollte ein Stück abreißen. Er blickte sich immerzu um nach den Wachen, aber Sie wissen ja, wie aufmerksam die sind, sie wollen das Geschäft selber machen, einer von ihnen kam näher, er hob drohend seine Lanze. Ich zog Sheikh Abdullah am Arm weg von der Kaaba. Ich weiß, viele reißen kleine Fetzen des Stoffes ab, es gilt als Bagatelle, aber trotzdem, wie kann ein respektierter Mann so etwas tun?
KADI: Erstaunlich ist nur, daß dieser Fremde in seinem Buch schreibt, du habest ihm ein Stück von der Kiswah geschenkt?
MOHAMMED: Das schreibt er?
KADI: Ja. Er schreibt einiges über dich.
MOHAMMED: Es stimmt, aber das war später, zum Abschied.
KADI: Woher hattest du es?
MOHAMMED: Gekauft von einem der Offiziere.
KADI: Du hattest so viel Geld?
MOHAMMED: Meine Mutter hat es mir gegeben, sie wollte, daß wir ihm etwas Bleibendes schenken.
KADI: Und da hat sie all das Geld, das dieser Besucher für die Übernachtung in eurem Haus gezahlt hat, für ein Abschiedsgeschenk ausgegeben? Außergewöhnlich großzügig.
MOHAMMED: Sie war sehr von ihm angetan. Mir fällt noch etwas ein, das muß ich Ihnen erzählen, das ist bestimmt wichtig. Eines Tages, auf der großen Straße in Mina, sahen wir einen Offizier von den irregulären Truppen, der völlig besoffen war, er gab jedem, der ihm im Weg stand, einen Stoß mit dem Ellbogen, und er beschimpfte jene, die sich beschwerten. Als wir an ihm vorbeikamen, hielt er inne, gab einen Schrei von sich und umarmte Sheikh Abdullah, der ihn wegstieß. Was ist, mein Freund? schrie der Besoffene, und Sheikh Abdullah drehte sich sofort um und eilte davon. Er stritt ab, daß er ihn kannte, aber mir kam es seltsam vor.
GOUVERNEUR: Er kannte ihn.
MOHAMMED: Das wissen Sie?
GOUVERNEUR: Aus Kairo.
KADI: Sie haben dort zusammen
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