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Der Weltensammler: Roman (German Edition)

Der Weltensammler: Roman (German Edition)

Titel: Der Weltensammler: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ilija Trojanow
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Hilfsverben begnügt. Seine Abschweifungen verblieben zunächst auf dem Parkett der Sprache. Bestimmt haben Sie Kenntnis von unseren zwei Wörtern für Mann: Admi, das stammt von Adam ab, der, wie die Moslems behaupten, hierzulande auf die Welt gekommen ist, und Manav, das stammt von Manu ab, dem anderen Urahnen, aus der, wie Sie sagen würden, hinduistischenTradition. An der Sprache sollst du sie erkennen, heißt es nicht so? In unserer Sprache offenbaren wir uns als Nachkommen zweier Geschlechter. Was könnte uns das für eine Stärke geben! Wäre es dieser Argumentation gemäß nicht folgerichtig, Guruji, daß jeder Inder sowohl Hindu als auch Moslem ist? Wir wollen nicht zu wagemutig werden, mein Shishia, wir wollen froh sein, daß sie nebeneinander leben. Doch die Sprache genügte ihm bald nicht mehr. Upanitsche sprang einen Salto und landete mit beiden Beinen in der Jurisprudenz … im altindischen Strafrecht gab es Vergehen gegen Tiere. Drei Pirouetten später kommentierte er das Kastensystem … ihr sagt Hochgeborene, wir sagen Zweimalgeborene. Kein großer Unterschied, finden Sie nicht auch? Und nach seiner Erklärung des Vokativ belohnte er seinen Schüler mit einem Spruch … das Buch, der Stift und die Frau, niemals sollten sie ausgeliehen werden. Erhält man sie zurück, sind sie zerrissen, zerbrochen oder zerpflückt. Stammt das von Ihnen, Guruji? Mitnichten, es stammt aus einem Sanskrit-Gedicht, aus einem, wie würden Sie es nennen, klassischen Werk. Erstaunlich! Staunen Sie nur, Staunen ist gesund. Sollen wir uns noch eine Lektion vornehmen? Es reicht, Mister Burton, es reicht. Ein Shishia, der seinen Guru ermüdet, hat es so etwas schon einmal gegeben? Das ist ungehörig! Sie müssen meine Kräfte schonen! Sie werden Ihren Guruji noch länger benötigen.
    Eines Abends erschien die Tonga nicht, um ihn abzuholen. Upanitsche mußte warten, während Naukaram sich um Ersatz bemühte. Obwohl er bequem auf dem Fauteuil saß, die Beine auf einem Hocker ausgestreckt, wurde er fahrig, er schnippte mit Daumen und Mittelfinger, während er Burtons Fragen über seinen Werdegang beantwortete. Alle paar Sätze horchte er auf, ob das Klappern der Räder endlich zu hören sei. Sorgen Sie sich um Ihre Ehefrau, Guruji? Ich werde mich sehr verspäten, das ist nicht gut. Ich kann es nicht ertragen. Wir sind Nachfolger einer exakten Zivilisation. In jeder unserer Sekunden spiegelt sich die kosmische Ordnung, und mit jeder vergeudeten Sekunde wird sie verhängnisvoll bedroht. Beachten Sie nicht das Gerede von den Zyklen von Kala, in denen wir angeblich so großzügig denken. Wir haben exakt zu sein. Als Naukaram unerledigter Dinge zurückkehrte, trommelte Upanitsche mit denFingern auf der Lehne, rutschte auf dem Polster hin und her. Naukaram hatte im ganzen Cantonment keine Tonga finden können. Burton beschloß, den Lehrer selber nach Hause zu bringen, auf dem Rücken seines eigenen Pferdes. Der Amanuensis konnte zu Fuß gehen. Oh, mein Shishia, Sie muten mir zuviel zu. Wie soll ich auf dieses Pferd steigen? Wir werden Sie hochhieven. Nein, das gefällt mir nicht, ein Lehrer ist doch kein Möbelstück. Gut, dann wird Naukaram einen Stuhl herausbringen. Ich werde das Pferd stillhalten, Sie können hochsteigen und aufsitzen. Ich habe noch nie auf einem Pferd gesessen, nicht einmal auf einem Maulesel. Setzen Sie sich einfach in den Sattel, Guruji, etwas weiter nach hinten bitte, damit ich Platz habe vor Ihnen. Und wenn ich herunterfalle? Halten Sie sich an mir fest, Guruji. Ausnahmsweise sind Sie von mir abhängig. Oh, so werden wir durch die Nacht reiten? Wie junge Liebende. Und wenn uns jemand sieht? Nehmen Sie bitte nicht die Hauptstraße, es gibt unbeleuchtete Nebenwege, die ich vorziehe. Burton hielt das Pferd in einem sanften Trab, und Upanitsche beruhigte sich allmählich. Dies ist ein ungewöhnlicher Abend. Ich möchte mich erkenntlich zeigen. Oder anders gesagt, Ihnen etwas geben, was mir zu diesem Anlaß gebührend erscheint. Woran denken Sie, Guruji? An ein Mantra. Vielleicht das mächtigste aller Mantras. Betrachten Sie dieses Mantra als meinen Wegezoll an Sie. Er wird Ihnen nie ausgehen.
    Purna-madaha
    Purna-midam
    Purnaat purnam uda-tschyate
    Purnasya purnam-aadaaya
    Purnameva ava-shishyate.
    – Das klingt schön, Guruji. Mit solchen Mantras im Ohr bin ich bereit, die ganze Nacht mit Ihnen zu reiten.
    – Oh, wir wollen nicht übertreiben. Was habe ich Ihnen beigebracht? Maßhalten. Sind Sie nicht neugierig

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