Der Weltensammler: Roman (German Edition)
Körpers behalten, wenn er morgen ginge, als könnte sie bleibende Ornamente auf seiner Haut zurücklassen. Müde fielen sie aus dem Liebeskampf heraus. Die schönste Zeit, die Minuten, in denen ihn kein Gedanke beschwerte, die schönste Zeit, dachte er, jene, die er nicht wahrnahm. Und ihm wurde bewußt, daß sie schon vorbei war. Er richtete sich auf und saugte an ihren Lippen, als suche er nach einem betäubenden Nektar. Und sie, sie ergriff seine linke Hand, sie spielte mit den Fingern, verschränkte sie, zog an den unteren Enden, bis sie knackten, und glitt in einen Gesang, der erst allmählich aus dem Summen heraus seinen Sinn entfaltete:
An einem Sommertag
im Schatten unterm Baum
da liegt sie, da liegt sie
die Kleider zieht sie hoch
ihren Kopf zu schützen
so sagt sie, so sagt sie
vor des Mondes Strahlen.
39.
NAUKARAM
II Aum Yagnakaayaaya namaha I Sarvavighnopashantaye namaha I Aum Ganeshaya namaha II
Am zweiten Tag begann der Lahiya sich Sorgen zu machen. Es war nicht so, daß Naukaram noch nie ein Treffen versäumt hatte. Einmal war er erkrankt, und ein anderes Mal hatte er ihm eine vermeintliche Beleidigung nachgetragen. Aber beide Male hatte der Lahiya Bescheid gewußt. Doch dieses Mal gab es keinen Grund für sein Ausbleiben. Er war in letzter Zeit mutloser als sonst gewesen, willenlos fast, schlaff. Das war das Problem mit den niederen Kasten,sie gaben leicht auf, wenn sie Widerständen begegneten. Es war nicht angenehm, einen ganzen Tag am Straßenrand zu sitzen und auf jemanden zu warten. Inmitten dieser Schakale, die sich die Gelegenheit nicht entgehen ließen, ihn zu verspotten. Sie konnten es nicht verkraften, daß er seit Wochen einen Kunden hatte, der ihn täglich aufsuchte, zu dieser Jahreszeit, in der ein Auftrag in der Woche als ein Segen galt. Eine Angst bemächtigte sich seiner. Was wäre, wenn Naukaram verschwinden würde. Wenn der Bericht jetzt abbräche. Das würde die Geschichte verstümmeln. Das durfte nicht geschehen, sie waren fast am Ende. Jetzt abzubrechen, das wäre schrecklich. Er war von der Intensität seiner Furcht überrascht. Sie richtete ihn auf. Am Nachmittag beschloß er, Naukaram zu suchen. Keine leichte Aufgabe. Er wußte nicht, wo er wohnte, er wußte nur, er war bei Verwandten nahe dem Sarkaarvaadaa-Palast untergebracht. Er fragte in allen Läden des Viertels nach. Kennen Sie einen hochgewachsenen, gebeugten Mann, der als Diener bei einem Firengi gearbeitet hat? Kennen Sie jenen, der Naukaram heißt? Keiner kannte ihn. Als er ihn schließlich doch fand, war es dem Zufall zu danken. Er kehrte in eine Maikhanna ein, weil der Durst ihn quälte und seine Füße schmerzten. Bevor er etwas bestellen konnte, sah er eine vertraute Gestalt. Naukaram, der alleine an einem Tisch saß und kaum noch bei Sinnen war.
– Ich dachte, Sie trinken keinen Daaru.
– Außergewöhnliche Tage erfordern außergewöhnliche Getränke.
– Was ist geschehen?
– Nichts. Ich bin am Ende. Nur das.
– Wieso am Ende?
– Es geht Sie nichts an. Unsere Zusammenarbeit, wie soll ich es sagen, sie ist zu Ende.
– Sie wollen nicht mehr?
– Ich kann nicht mehr. Ich bin ein Mann ohne Wert. Ich habe keine Rupie mehr. Nur Schulden.
– Bei wem?
– Ich bin von einem Bruder zum anderen gelaufen, von Maamaa zu Kaakaa. Jetzt leiht mir keiner mehr was, und diejenigen, die mir etwas leihen könnten, die wollen zuerst das Geld zurückhaben, dassie mir schon geliehen haben. Ich bin bei fast allen verschuldet, verstehen Sie. Weil es so lange dauert mit diesem Brief, der keiner ist.
– Sie können jetzt nicht aufgeben.
– Du! Du hast die Geschichte in die Länge gezogen, um mich zu schröpfen. Du hast mich ausgeraubt. Ich mußte mir Geld ausleihen. Ich habe die Sachen verpfändet, die ich aus Europa mitgebracht habe. Ich habe bei meinen Verwandten gebettelt, um dein Honorar zusammenzukratzen. Du hast mich an der Nase herumgeführt. Ich bin bei der ganzen Stadt verschuldet, und was habe ich dafür bekommen, nichts, nichts in den Händen. Außer einem Schrieb, den keiner lesen will.
– Sie können jetzt nicht aufgeben. Hören Sie mir zu, wenn man so weit gekommen ist, muß man die Sache zu Ende bringen. Sie erinnern mich an einen Mann, der vor Jahren beim Diebstahl erwischt wurde. Der Richter bot ihm an, sich die Strafe selber auszusuchen: entweder ein Kilo Salz zu essen, hundert Stockhiebe zu erhalten oder eine Geldstrafe.
– Der Schwätzer bist jetzt du.
– Der Dieb
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