Der Weltensammler: Roman (German Edition)
entschied sich für das Salz, er aß und aß, er quälte sich, und als er fast alles aufgegessen hatte, da bildete er sich ein, er könne keine einzige Prise mehr essen, und er rief aus, genug, genug von dem Salz, ich will doch lieber die Stockhiebe auf mich nehmen. Er wurde geschlagen, neunzigmal, oder fünfundneunzigmal, da bildete er sich ein, er könne keinen einzigen Schlag mehr ertragen, und er rief aus, genug, genug von den Schlägen, laßt mich bitte die Geldstrafe zahlen.
– Schlauer Lahiya. Der dumme Diener, der nichts versteht. Du kannst lesen und schreiben. Du bist Brahmane.
– Wenn Sie kein Geld mehr haben, das macht nichts, ich stunde es Ihnen.
– So großzügig, auf einmal. Vier Rupien werden nicht ausreichen, fürchte ich. Erinnerst du dich daran? Mindestens acht Rupien noch.
– Lassen Sie uns diese alten Geschichten nicht aufwärmen. Es ist mein Beruf.
– Ein ehrenwerter Beruf, wenn es je einen gegeben hat. Der ehrenwerteLahiya. So viele Bedürftige, die er ausnutzen kann. Es ist zum Aufschreien.
– Ich bitte Sie. Es wird Ihnen guttun, wenn Sie sich die Geschichte, die ganze Geschichte, vom Herzen geredet haben. Vergessen wir das Geld.
– Willst du mir etwa alles zurückerstatten?
– Ihre Geschichte, sie ist mir wirklich ans Herz gewachsen, wie ich es Ihnen schon einmal gesagt habe. Ich werde das Papier und die Tinte zur Verfügung stellen, Sie müssen nur noch einige Tage Geduld aufbringen. Und am Ende werde ich Ihnen ein Schreiben überreichen, wie es noch nie ein Diener in den Händen gehalten hat.
– Das reicht mir nicht. Das ist nicht gut genug. Du mußt schon was Besseres anbieten.
– Gut, hören Sie zu, mein allerletztes Angebot.
– Da bin ich aber gespannt.
40.
OHNE VERGLEICH
An dem Tag, an dem sie erkrankte, bat Kundalini Burton, sie zu heiraten. Er hatte das bleiche, hagere Gesicht ihrer Nervosität zugeschrieben. Er fühlte sich überrumpelt, und im nachhinein sah er sich selbst, in seiner erbärmlichen Reaktion, als unwürdig an, unwürdig, sie jemals verdient zu haben. Er verhedderte sich in Ausflüchten. Sie unterbrach ihn mit einem bitteren Lachen. Keine Sorge, mein Herr, wir werden weder viermal um das heilige Feuer noch zum Altar schreiten. Mein Wunsch betrifft allein die Gandharva- vivaaha, eine bescheidene Zeremonie, zu der es nur unserer Übereinkunft bedarf und zweier Girlanden, daß wir zusammenbleiben werden, solange wir zusammenbleiben wollen. Es ist eine Zeremonie des Selbstverständlichen. Wir benötigen für diesen Akt nicht einmal die Hilfe Dritter, die Gandharva, die himmlischen Minnesänger,werden für uns Zeugnis ablegen. Was ist das für ein Unfug, sagte er, was bringt dir so eine Übereinkunft? Sie flehte ihn an, es war ihr wichtig. Ich darf keinen Sterblichen heiraten, erklärte sie. Wieso nicht? Das kann ich dir nicht sagen, es ist eine Sache des Glaubens, der Hingabe an einen Tempel. Er gab sich unverständig. Sie flehte ihn an mit matten Augen. Es ist so, als sei ich schon verheiratet, mit einer Gottheit, mehr kann ich dir nicht sagen. Aber du darfst trotzdem diese zweite Heirat eingehen? Es wäre für mich eine Befreiung, du kannst es jetzt nicht verstehen, aber wenn du mir vertraust, ich verspreche dir, dann wirst du es verstehen. Er hätte sie beruhigen sollen, sofort zusagen, er hätte den flehenden matten Blick mit einem ›Ja‹ erfreuen sollen, aber er war von dem Wunsch besessen, die Starre in ihrem Verhältnis aufzubrechen. Er war zu sehr damit beschäftigt, die Situation auszunutzen, um sie richtig einschätzen zu können. Im nachhinein zerfraßen ihn die Reue und die Unsicherheit, und er fragte sich, ob sie geahnt hatte, wie krank sie war, ob er ihre Erkrankung sogar verschlimmert hatte, als er ihr beschied, bald Antwort zu geben, obwohl die Antwort bereitlag. Hätte er ihr Leben gerettet, wenn sie sich gleich vermählt hätten mit den Minnesängern als Zeugen? Es war Ausdruck seiner Verwirrung, daß er so etwas überhaupt für möglich hielt.
41.
NAUKARAM
II Aum Amitaaya namaha I Sarvavighnopashantaye namaha I Aum Ganeshaya namaha II
– Ich habe sie gefunden. Das war ungerecht. Ich mußte ihre Hände zusammenlegen. Als ich Burton Saheb rufen ließ, hatte ich die häßlichsten Spuren schon entfernt. Er wollte sofort den alten Arzt rufen. Ich weiß nicht, wie oft ich ›Sie ist tot‹ wiederholen mußte, bis er es begriff. Er setzte sich an den Bettrand und stand stundenlangnicht mehr auf. Ich
Weitere Kostenlose Bücher