Der Wert des Blutes: Kriminalroman (German Edition)
Rückseite war dem Anschein nach integrierter Teil eines Bücherregals mit lauter Lederbänden. Als ich die Tür schloss, konnte ich nicht zwischen den echten Büchern und den Attrappen unterscheiden. Ich öffnete die Tür wieder und ließ sie einen Spaltbreit offen, weil ich überzeugt war, sonst schwer wieder herauszufinden. Dieser Raum war doppelt so lang wieder erste und von unten bis oben mit Büchern gesäumt. Die Decke war hoch, drei Meter sechzig, und es gab mehrere kleine Trittleitern, um zu den obersten Regalen zu gelangen. Es mussten sich mehrere tausend Bücher in der Bibliothek befinden, und ich ging herum und las die Titel im Schein der Taschenlampe. An einer Wand standen Erstausgaben. Es war eine bunte Mischung – moderne Thriller, Kriminalromane aus den Vierzigerjahren, Klassiker aus dem achtzehnten und neunzehnten Jahrhundert, Lyrik, Liebesromane, Spukgeschichten. Der Rest bestand aus Sachliteratur, eine breite Themenpalette, darunter Geografie, Wissenschaft, Kochen und eine ganze Samm lung von Lehrbüchern über alles und jedes von Anatomie bis Zoologie. Viele waren auch in fremden Sprachen verfasst; ich entdeckte Französisch, Deutsch, Russisch, Italie nisch, Spanisch, Chinesisch und einige, die ich nicht identifizieren konnte. Woher sie wohl alle diese Bücher hatte? Anschei nend waren sie alle in tadellosem Zustand, wie von einem Innen architekten bezogene Meterware.
Ich konnte auch keine Ordnung in der Sammlung erkennen; keine Gruppierung nach Themen, Sprachen oder alphabetischer Reihenfolge. Ich leuchtete mit der Taschenlampe herum, um nach irgendeinem Katalogsystem zu suchen, einem Zettelkasten oder einem Computer. Da war nichts.
Entweder hatte sie ein unglaubliches Gedächtnis oder die Bücher waren ihr gleichgültig. Waren die überhaupt je gelesen worden? Ich nahm eines in die Hand, eine Erstausgabe von
Wem die Stunde schlägt
, und blätterte darin. Es war in einem wunderbaren Zustand, aber zwei Seiten waren umgeknickt worden, um als Lesezeichen zu dienen, also beantwortete das wohl meineFrage. Ich blätterte die Seiten mit dem Daumen durch, was ein flatterndes Geräusch verursachte, und entdeckte auf einer der Seiten ziemlich weit vorn eine Kritzelei in blauer Tinte.
Ich blätterte eine Seite nach der anderen zurück, bis ich die handschriftliche Widmung fand. Als ich sie las, war mir, als wäre die Zimmertemperatur um zehn Grad gefallen. Ich sah zur Tür auf, doch die stand immer noch nur einen Spalt offen und es gab keinen Luftzug. Schaudernd las ich die Worte auf der Seite noch einmal: »Dem Mädchen mit den schwärzesten Augen, die ich je gesehen habe.« Er hatte es nicht signiert, aber die Initialen standen da. E. H. Datiert war es auch nicht. Ich untersuchte das Buch, und es wirkte durchaus echt, obwohl ich mich natürlich nicht für die Handschrift verbürgen konnte. Wann war Hemingway gestorben? Irgendwann in den Sechzigerjahren, dachte ich, aber ich war mir nicht sicher. Ich stellte das Buch an seinen Platz zurück und zog das rechts daneben heraus.
Der Malteser Falke
von Dashiell Hammett. Einer meiner Favoriten. Ich wusste, dass Hammett neunzehn-hunderteinundsechzig gestorben war. Ich konnte mich nicht erinnern, wann er das Buch geschrieben hatte, aber es musste wohl so um neunzehn-hundertdreißig herum gewesen sein. Vielleicht auch neunzehn-hundertneunundzwanzig. Ich schlug das Buch nicht auf, denn ich hatte Angst vor dem, was ich womöglich finden würde. Ich hielt es hoch und tippte damit gegen mein Kinn. Dabei atmete ich den Geruch des über sechzig Jahre alten Buchs ein. Ich holte tief Luft und schlug es auf. Dort, auf der Titelseite, stand etwas in schwarzer Tinte geschrieben: »Lisa – ich werde dich nie vergessen. Nie!« Darunter eine Unterschrift. Die von Hammett.
Ich hatte mal einen Freund namens Gilbert Leighton. Wir waren zusammen an der Uni, dann richtete er eine Gemeinschaftspraxis mit einem Kollegen aus Birmingham ein; bald nach der Eröffnung lud er mich ein in seine neuen Praxisräume in der Harley Street. Um anzugeben vermutlich, um mir zu zeigen, wie gut seine Geschäfte liefen, obwohl er doch während des ganzen Studiums um etwa fünfzehn Prozent unter meinem Notendurchschnitt gelegen hatte. Er wollte mir auch in seiner Garage seinen Rolls zeigen, aber ich verzichtete. Mir imponierten weder die teure Ledercouch noch die holzgetäfelten Wände oder die umwerfende blonde Empfangsdame, die die obersten drei Knöpfe ihres Kleids offen ließ. Nein, was mich
Weitere Kostenlose Bücher