Der Wert des Blutes: Kriminalroman (German Edition)
so aus, als ob du einen gebrauchen könntest.« Ich nickte. Ich muss wohl unter Schock gestanden haben, denn ich fühlte mich wie hypnotisiert.
Sie ging zur Anrichte, wo eine Batterie von Flaschen und Karaffen auf einem Silbertablett stand. Sie drehte den Kopf zu mir. »Brandy?«, fragte sie und ich sagte ja, bitte. Zumindest versuchte ich das zu sagen – ich bin mir nicht sicher, ob ich die Worte tatsächlich hervorbrachte. Ich sah ihr zu, wie sie Brandy aus einer Karaffe in ein Kristallglas goss. Irgendetwas an ihr war anders, aber nicht, weil sie zum ersten Mal ein Kleid trug. Es war mehr ihr Verhalten; sie benahm sich wie eine Frau, nicht wie ein hilfloses Mädel wie bei unserer ersten Begegnung. Und da war noch etwas.
»Ich glaube, du magst das hier«, sagte sie, als sie mir das Glas brachte. Dann erkannte ich, was es war, was sich geändert hatte.Ihre Stimme. Oder vielmehr ihre Art zu reden. Verschwunden war die atemlose Aber-so-was-von-Singsangstimme im pseudokalifornischen Valley-Girl-Stil, und an ihre Stelle waren die weichen, aber selbstbewussten Töne einer Frau getreten, die genau wusste, was sie wollte und wie sie es durchsetzte. Sie spielte mir nichts mehr vor, und ich wusste ganz sicher, dass ich jetzt die wahre Terry Ferriman vor mir hatte. Aber nicht die Wahrheit machte mir Angst, sondern die Ungewissheit, was sie nach ihrer Enthüllung tun würde. Ich hatte mich in Terry Ferriman verliebt, nicht in die Person, die anmutig neben mir auf dem Sofa saß, die Hände im Schoß gefaltet; die mich beobachtete, wie ich am Brandy nippte, wie eine Katze einer Maus zusieht, die sie in die Enge getrieben hat.
»Gut?«, fragte sie.
»Sehr gut«, sagte ich, obwohl ich ehrlich gesagt gar nichts schmeckte, während mir von dem Zeug warm ums Herz wurde.
Sie lächelte. »Dieser Brandy wurde achtzehnhundertzwei destilliert, Jamie«, sagte sie. »Drei Jahre nach Napoleons Machtübernahme in Frankreich.«
»Tatsächlich?«, sagte ich und zog die Augenbrauen hoch. Ich trank noch einen Schluck, aber ich konnte ihn immer noch nicht schmecken. Doch in meinem Magen breitete sich eine wohlige Wärme aus und ich fühlte mich etwas beschwipst.
»Das war ein gutes Jahr«, fuhr sie fort, »ein sehr gutes Jahr.«
»Für Brandy?«, fragte ich.
»Für viele Dinge«, sagte sie. »Es war ein Traumsommer.«
Mir schwirrte der Kopf, und ich schüttelte ihn, um klarer zu werden. Panik erfasste mich. Hatte sie mir vielleicht etwas inden Brandy getan? Mir fiel der Traum wieder ein, wie sie auf einem Körper hockte, den Mund blutverschmiert, und auch das Gefühl ihrer warmen Lippen auf meinem Nacken.
»Trink deinen Brandy und entspann dich, Jamie«, sagte sie. »Und keine Angst. Ich tu dir nichts. Vertrau mir.« Ihre Stimme war so beruhigend und wärmend wie der Brandy, aber ein Teil von mir spürte, dass sie mit mir sprach wie ein Arzt zu seinem Patienten. Wie konnte ich denn jemandem vertrauen, der mich so belogen hatte wie sie? Verdammt, nichts, was ich von Terry Ferriman wusste, schien zu stimmen. Ich stürzte den Rest des Brandys hinunter.
»Was suchst du denn, Jamie?«, fragte sie und nahm mir das leere Glas ab. Sie rieb es zwischen ihren Händen und sah mich an.
»Ich weiß nicht. Vielleicht die Wahrheit. Klingt das banal?«
»Und hast du sie gefunden?«, fragte sie, ohne auf meine Frage einzugehen.
»Ich habe die Akten gesehen«, sagte ich. »Die Totenakten, die Identitäten, die du verwendet hast. Und ich habe gesehen, welche du künftig nutzen willst. Wie alt bist du, Terry? Wer bist du?«
»Willst du das wirklich wissen?«, fragte sie. »Glaubst du denn, du kommst damit klar, Jamie? Du sagst, du bist gekommen, um die Wahrheit zu erfahren. Aber was willst du denn wirklich? Denk mal drüber nach, Jamie. Überleg mal, was Wahrheit bedeutet.«
Greig Turner schoss mir durch den Kopf, die verschrumpelte Hülle eines Menschen, während das Mädchen, das er geliebt hatte, unverändert blieb. Was war schlimmer – zu wissen,dass er starb, dass er sie verloren hatte oder dass sie immer noch existieren würde, lange nachdem er begraben oder verbrannt war oder was auch immer sie mit den Leichen von verblichenen Filmstars anstellten? Wäre er glücklicher bei dem Gedanken, dass sie gestorben war oder dass sie auch ihre letzten Jahre im Rollstuhl in irgendeinem Pflegeheim verbrachte? Ich erinnerte mich an seine entsetzte Miene, als ich ihm sagte, dass das Foto von Terry Ferriman neu war und kein altes Bild von Lisa Sinopoli,
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