Der wilde Tanz der Seidenröcke: Roman
liebten!
Während ich die Bitterkeiten und Ängste meiner Lage wiederkäute, las Bassompierre mit seiner wohlklingenden Stimme und einer sehr unangebrachten Fröhlichkeit von den Widrigkeiten und Trübnissen Céladons, der, wie ich wohl schon sagte, durch Schändlichkeit und Bosheit von der schönen Astrée getrennt worden war. Hätte Bassompierre es gewagt, er hätte auf seine Uhr geschaut und die Zeit geschätzt, die er noch im Louvre zu verbringen hatte, eine leere, gestohlene Zeit, weil sie ihn von dem Augenblick trennte, da er sich an die Tafel des Konnetabels setzen könnte, gegenüber oder neben der Schönen, die er den ganzen Nachmittag vergeblich gesucht hatte.
Diese Ungeduld entging Henri nicht. Er erriet deren Ursache und verlängerte, ohne es vielleicht ausdrücklich zu wollen, die Lektüre. Mir schien, daß er den lesenden Bassompierre auf recht seltsame Weise musterte. Bis zu diesem Tag gab es niemanden am Hofe, den der König von Frankreich mehr liebte als diesen deutschen Grafen. Bis zu den Wolken hatte er sein Talent, seinen Geist, seine Feinheit, seine Gefühle und die Leichtigkeit seines Charakters erhoben. Doch wenn ich seinen Blicken glaubte, hatten seine Gefühle sich seit dem Vortag sehr geändert und waren einer Art Abneigung gewichen, gegen welche die legendäre Freundestreue des Königs ankämpfte, nicht ohne einigen Boden zu verlieren.
Das Abendessen, das man dem König um sechs Uhr brachte und das ebenso leicht war wie das Mittagsmahl, setzte Bassompierres Warten ein Ende. Henri, der wohl fühlte, daß er ihn schwerlich länger zurückhalten konnte, entließ ihn auf etwas abrupte Weise, was Bassompierre verwunderte, ohne daß er die wahre Ursache auch nur ahnte. Er kniete am Kopfende des Bettes nieder und küßte mit abwesender Miene die königliche Hand. Schneller als sein Körper war er im Geiste schon im Hôtel des Konnetabels und ließ den Louvre und einen König hinter sich, der sich zu fragen begann, warum die Gicht und seine Allmacht ihn im Schlosse zurückhielten, während sein glücklicherer Rivale zur Nymphe der Diana eilte.
Nach Bassompierres Aufbruch erwartete ich mir, daß der König mich bitten werde, weiterzulesen, aber er tat es nicht. Er aß sein karges Mahl mit ziemlich gutem Appetit, aber mit gesenkten Augen und so in seine Gedanken vertieft, daß es ihn mäßig beglückte, als sein Beichtvater, Pater Cotton, eintrat und ihn durch seine Gegenwart aus seinem Sinnieren riß.
Pater Cotton, ein bedeutender jesuitischer Theologe, war ein kleiner, runder und so molliger Mann, daß man bei seinem Anblick glauben konnte, der Name sei ein Spitzname. Er war so höflich, daß er in seinen Predigten gegen die Hugenotten Calvin stets »Herrn Calvin« nannte und behauptete, daß er die Calvinisten nicht hasse, sondern nur ihre Irrtümer verabscheue: ein höchst ungewöhnlicher Glockenklang in der Gesellschaft Jesu, der er angehörte.
In einem Büchlein, das er soeben veröffentlicht hatte unter dem Titel
Innere Beschäftigung einer frommen Seele
, stellte er seine Religion so behaglich und so wenig auf die Verdammnis bauend dar, daß sie den Damen des Hofes, auch den leichtfertigsten gefiel und daß man sich hinter vorgehaltener Hand zuraunte, dieser milde Hammel führe selbst noch die verirrten Schafe sicher heim.
Pater Cotton ging nicht: er glitt. Er betrat einen Raum nicht: er schwebte herein, die Hände bescheiden über seinem runden Bauch gefaltet und das Haupt gesenkt. Zugleich mit ihm traten in das Königsgemach Demut, Sanftmut, Nächstenliebe, Vergebung der Sünden, wenn nicht ihr Vergessen. Da er dem König einmal im Monat die Beichte abnahm, hatte er tüchtig zu tun, dessen Seele von allen Verstößen zu reinigen, und dasauch noch ohne jede Hoffnung, sie im nächsten Monat weniger beladen vorzufinden. Dann seufzte Pater Cotton, ermahnte Henri milde und erteilte ihm schließlich die Absolution, kaum überzeugt allerdings, daß sie überhaupt Geltung habe, da der königliche Penitent so wenig zerknirscht war. Trotzdem war Henri laut meinem Vater ein aufrichtiger Christ, wenn auch kein sehr überzeugter Katholik, da er seine Not hatte mit der Jungfrau, den Heiligen, den Ablässen, der Simonie und der Macht, die sich der Papst über die christlichen Souveräne anmaßte.
»Sire«, sagte Pater Cotton mit seiner raunenden Stimme, »wie geht es Euch?«
»Schlecht, Pater, danke«, sagte der König.
Aus diesem Anfang entnahm Pater Cotton, daß sein Besuch dem König
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