Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Willy ist weg

Der Willy ist weg

Titel: Der Willy ist weg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Juretzka
Vom Netzwerk:
Plötzlich, wie ich so dastand, draußen, im Dunkeln, in der bleiernen Stille der Mülheimer Nacht, fröstelnd in meinem dämlichen Sakko, ein im Fünfsekundentakt knackendes Telefon am Ohr, spürte ich die Last der vergangenen Tage und Nächte.
    »Weil«, erklärte ich, mühsam beherrscht, mit präzisester Artikulation, »da, wo wir die Knete herhaben, da hatten sie nur Dollar.«
    Kurze Pause. Das an- und abschwellende Rauschen einer über die Sprechmuschel gehaltenen Handfläche.
    Wenn er mich jetzt fragt, ob wir es nicht noch umtauschen können, fall ich um, dachte ich.
    »Also gut«, meldete sich mein Gesprächspartner wieder, etwas atemlos von der Anstrengung raschen Denkens und Entscheidens. »Dollars sind okay.«
    Also gut, dachte ich. Dann lasst es uns hinter uns bringen. Und der Diesel in meiner Brust fuhr Vollast.
    »Wie schnell könnt ihr sie zur Hand haben?«
    »Zehn Sekunden.« (Ich hatte den Toyota um die Ecke geparkt. Vollgetankt. Startklar. Wie der Commodore.)
    »Gut.« Gedehnt, jetzt. Zufrieden. Selbstzufrieden. Am Drücker. Herr der Lage. Oder vielleicht waren es auch nur meine Aufregung und rasende Ungeduld, die etwas viel hineininterpretierten in diese eine Silbe. »Dann haltet sie bereit.«
    Und krck. Püt-püt-püt-püt-püt-püt-püt...
    Ich hätte töten können in diesem Augenblick. Mit meinem bloßen Händen. Meine Fingernägel in einen Hals graben und die Gurgel hervorzerren. Ich hätte Dinge tun können, zu denen Menschen sonst nur bei Häftlingsrevolten oder in Kriegen fähig sind.
    Wieder warten! Nur die Tatsache, dass ich es noch brauchen würde, hielt mich davon ab, das Telefon mit einem einzigen Schwung in die zwei Kilometer entfernte Ruhr zu schleudern.
    Minuten später war ich nur noch schlapp. Es ist Passivität, die mich erschöpft, die mich fertig macht. Viel mehr, als es Aktivität je vermöchte.
    Gegen vier fuhr ein LKW vor, und wir luden ihn aus und räumten das Tiefgefrorene, das Vakuumverpackte, das Sterilisierte, das Ultrahocherhitzte genauso wie das Gefriergetrocknete, das Pasteurisierte, das Konzentrierte und das Kondensierte und nicht zuletzt das viele, viele Fett in die diversen Fächer und Ablagen und Behälter und Schränke und Truhen.
    Gegen fünf war die Küche komplett und angeschlossen, und Flusenkopf rief die Jungs zusammen und fing an, sie im kunstvollen Umgang mit Mikrowelle und Fritteuse zu unterweisen. Charly hatte ihn vorher mal kurz beiseite gezogen und ein bisschen über die persönlichen Empfindlichkeiten mancher Gangmitglieder aufgeklärt, und so brachte der neue Geschäftsführer die komplette Unterweisung hinter sich, ohne anschließend seine Zähne vom Boden aufklauben und in einem Pappbecher mit nach Hause nehmen zu müssen.
    Ein gutes Zeichen, fand ich. Und das, obwohl ich wusste, dass im Commodore eine Flasche Wodka gebunkert war, deren Inhalt ebenso stetig abnahm wie der meines Beutelchens mit den kleinen, weißen Pillen.
    Manchmal braucht man einen Haken, um seinen Optimismus daran festzumachen.
    Gegen sechs pfiff ich mir selber eine Rote ein und einen kleinen Woddie auch.
    Gegen sieben schmissen die Pflasterer draußen auf dem Parkplatz die Pflasterramme an und rammten das Parkplatzpflaster ab.
    Gegen acht wurde noch eine Art Kinderkäfig voll bunter Bälle geliefert und in der Nichtraucherzone im ersten Stock aufgestellt. Das rief mir in unangenehme Erinnerung, mit was für einer Bestie von kurz geratener Klientel wir hier zu rechnen hatten, ließ meinen kurz in die Höhe gehängten Optimismus wieder vom Haken fallen und einen Schauder durch mein Gebein kriechen.
    Gegen halb neun hatte der letzte der Monteure seinen Kram eingepackt und war verschwunden. Nur ein paar Techniker in weißen Kitteln blieben noch und machten schlaue Gesichter.
    Um Punkt neun war Eröffnung. Sechs Stunden hatten sich seit dem letzten Anruf der Entführer angesammelt. Sechs Stunden.
    Ohne groß drüber nachzudenken, schoss ich mir noch eine Rote.
    Den stärker tätowierten Charly und den als eher undiplomatisch eingeschätzten Poppel hatten sie nach hinten in die Küche gesteckt. Somit oblag der Umgang mit dem Publikum dem flotten und charmanten Schisser und dem freundlichen, wenn auch nicht unbedingt ganz so flotten Hoho, die sich den Thekendienst teilten, und dem bis dahin nur durch Schweigsamkeit aufgefallenen D.O., den die fettärschigen Kunden des McIn-Drive-Schalters erst zu Gesicht bekommen würden, wenn es zu spät für sie war.
    Pit Bull sollte die Tische

Weitere Kostenlose Bücher