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Der Wind der Erinnerung

Der Wind der Erinnerung

Titel: Der Wind der Erinnerung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kimberley Wilkins
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gerade das Essen zubereitete. Sie riss den Umschlag mit zitternden Händen auf und entfaltete das Blatt Papier. Charlie blickte ihr über die Schulter.
    Es war Henrys Handschrift.
     
    Liebe Beattie,
    wir haben ein Haus in Glasgow gekauft und uns gut eingelebt. Lucy ist glücklich in ihrer neuen Schule und Kirche, aber es wäre leichter für sie, wenn du noch einen Monat abwarten würdest, bevor du ihr schreibst. Dann kann sie erst neue Freunde gewinnen.
     
    Beattie musste sich abwenden und tief Luft holen, bevor sie weiterlas.
     
    Ich hoffe, du verstehst, weshalb wir diese drastischen Maßnahmen ergreifen mussten. Vor die Wahl gestellt, unsere Tochter Gott näherzubringen oder der Sünde preiszugeben, haben wir getan, was alle liebenden Eltern getan hätten.
     
    Diesen Satz hatte zweifellos Molly diktiert. Beattie spürte einen gewaltigen Zorn und erkannte entsetzt, dass sie Molly in diesem Augenblick mit Freuden getötet hätte.
     
    Unsere Anschrift findest du auf dem Umschlag, aber ich werde Lucy die Briefe erst weiterleiten, wenn ich mir sicher bin, dass sie sie nicht zu sehr erschüttern.
     
    Beattie zerknüllte den Brief und warf ihn auf den Boden.
    »Ganz ruhig, den brauchst du noch«, sagte Charlie und hob ihn auf. »Da steht doch die Adresse drauf.«
    »Ich werde Lucy nicht schreiben.«
    Er schaute sie wortlos an.
    »Ich reise nach Schottland. Ich werde vor ihrer Tür erscheinen und mein Kind zurückverlangen.«
    Er nickte. »Wann?«
    »Morgen. Diese Woche. Sobald ich kann.«
    »In drei Wochen beginnt die Schur.«
    »Das schafft ihr auch ohne mich.«
    Er presste die Lippen zusammen.
    »Schafe sind nicht wichtig. Mir ist nur wichtig, dass ich meine Tochter zurückbekomme.«
    »Und wenn du sie nicht zurückbekommst? Wenn sie sie nicht gehen lassen?«
    »Dann werde ich sie dazu zwingen.«
     
    An diesem Abend sortierte Beattie ihre Papiere auf dem Boden des Wohnzimmers. Das Feuer brannte warm, das Radio knisterte, und Charlie stellte Pläne für die Schafschur auf. Beattie hatte entschlossen ihren Pass hervorgeholt und bei einer Schifffahrtsgesellschaft angerufen. Man bot ihr eine Überfahrt auf einem Schiff an, das in zwei Tagen nach London ablegte. Vorher musste sie noch wichtige Büroarbeiten erledigen. Von London aus würde sie nach Glasgow fahren und unangekündigt bei Henry auftauchen. Wie konnte er es wagen? Wie konnte er es wagen, ihr das Kind wegzunehmen und darüber zu bestimmen, wann und wie Beattie Kontakt mit ihm aufnehmen durfte?
    Das Musikstück im Radio war zu Ende. Die geschmeidige, samtene Stimme des Nachrichtensprechers ertönte, der mit einem anderen Mann redete, doch sie hörte nur mit einem Ohr zu. Seit einem Monat sprach man von der zunehmenden Aggression der Deutschen, doch das alles schien so weit weg, so weit entfernt von ihrem einfachen Leben hier unten am Ende der Welt.
    Dann bemerkte sie, dass Charlie das Radio lauter gestellt hatte.
    »Was ist los?«
    »Hast du das gehört?«
    Sie schüttelte den Kopf.
    Wieder erklang Musik aus dem Radio. »Wir haben die Nachrichten verpasst. Deutschland ist in Polen einmarschiert.«
    Beattie verschwieg, dass sie nicht einmal genau wusste, wo Polen lag. »Ach ja?«
    Charlie schüttelte den Kopf. »Du verstehst das nicht. England hatte ein Abkommen mit Polen.«
    Beatties Herz wurde heiß.
    »Wir sind im Krieg.«
     
    Er flehte sie an, nicht zu fahren. In der Nacht vor der Abreise hielt er sie die ganze Zeit fest an seinen warmen Körper gedrückt. Sie schlief kaum, wurde immer und immer wieder von einem Schmerz in ihrem Inneren wach. Sich so lange von ihm zu trennen … Aber sie blieb bei ihrem Entschluss. Sie würde Lucy finden und zurückholen, und dann würden sie als Familie zusammenleben.
    Im Grunde wusste sie, dass es eine Traumvorstellung war, doch das wollte sie nicht sehen. Um Kraft für die Reise zu sammeln, durfte sie ihr Ziel keinen Moment lang aus den Augen verlieren.
    Er brachte sie um kurz nach Mittag zum Hafen.
    Sie wandte sich um und schaute ihn eindringlich an. »Leb wohl, mein Liebling.«
    Er versuchte zu lächeln. »Du bist bald wieder da. Ich werde mir die Zeit mit Arbeit vertreiben.«
    Sie nickte. Tränen brannten in ihren Augen. Sie drückte sich an ihn, und ihr letzter Kuss war von brennender Leidenschaft. »Ich liebe dich.«
    »Ich liebe dich auch. Für immer.«
    Sie nahm ihren Koffer und winkte, bis der Wagen um die Ecke gebogen war. Am Ende der langen Gangway wartete das schwarz-rot gestrichene Schiff. Über ihr

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