Der Wind der Erinnerung
Geld verloren. Schafe! Wer interessiert sich schon für Schafe? Ich jedenfalls nicht. Bis heute nicht. Und es spricht alles für einen ziemlich enttäuschenden Wollertrag.«
Angesichts dieser Undankbarkeit zog sich Beatties Magen zusammen. Er war so reich, während andere Leute arm waren, ihm gehörten ein Unternehmen und ein großes, schönes Haus. Doch das brachte er mit Trinken und Spielen durch. Wie viele Menschen würden für eine solche Gelegenheit sterben?
Sie
auf jeden Fall. Und er warf alles einfach weg.
»Was wird aus uns, wenn Sie weggehen?«
Er schloss die Augen, und einen furchtbaren Moment lang fragte sie sich, ob er eingeschlafen war. Wie sollte sie ihn aus dem Zimmer schaffen? Musste sie ihn wecken? Doch er öffnete seine hübschen blauen Augen und setzte sich auf. »Beattie Blaxland, ich würde alles tun, um dich zu bekommen.«
»Sie haben meine Frage nicht beantwortet. Was soll aus uns allen werden? Aus Alice, Mikhail, Terry und mir?«
Er zuckte mit den Schultern. »Es gibt noch andere Farmen. Dort kannst du Arbeit finden.«
»Jeder vierte Mann ist arbeitslos. Für Frauen ist es so gut wie unmöglich, eine Stelle zu bekommen.«
Er erhob sich unsicher und blieb neben ihr stehen. Dann griff er nach ihrer Hand, sie konnte sich ihm nicht entziehen. Seine Finger waren eiskalt. »Bevor ich gehe, zahle ich dir noch eine Prämie«, sagte er lachend und drückte ihre Hand in seinen Schritt.
»Mikhail!«, rief sie.
Raphael ließ die Hand fallen und trat zurück. Er sah sie prüfend an. »Ich würde ja damit drohen, dich zu feuern, aber es wäre ein Wunder, wenn du am Ende des Jahres überhaupt noch hier arbeitest.« Er drehte sich um und verließ das Zimmer, als Mikhail gerade in der Tür erschien.
»Schon gut, Mikhail«, sagte Raphael, »ihre Ehre ist unversehrt.« Mit diesen Worten schlurfte er davon.
Mikhail wartete, bis er außer Hörweite war. »Geht gut?«
»Danke, ja.«
»Du solltest Riegel machen an Tür.«
»Mikhail, er sagt, er müsse bald nach Hause fahren, sein Geschäft sei am Ende.«
Er nickte. »Ich höre im Auto, wie er redet mit Mr. Sampson. Wird Anfang November wissen.«
Noch zwei Monate. Sollte sie sich eine andere Stelle suchen? Nach Hobart ziehen und hoffen, dort etwas Besseres zu finden? Immerhin hatte sie hier eine gute, regelmäßig bezahlte Arbeit. Besser als Arbeitslosenunterstützung.
»Ich sehe, was du denkst, und denke genauso. Terry redet von Weggehen. Hat bald keinen Verwalter mehr. Alice hört sich um. Ich werde auch tun. Vielleicht nicht so schlimm. Habe noch Zeit. Vielleicht passiert nicht. Vielleicht noch ein Jahr.«
Allerdings hatten Mikhail, Alice und Terry auch keine kleinen Kinder, um die sie sich kümmern mussten. Sie konnten dort hinziehen, wo es Arbeit gab. Lucy hingegen brauchte einen festen Rahmen.
»Hoffentlich hast du recht, Mikhail. Noch ein Jahr.«
Er klopfte auf seine Tasche. »Karten?«
Sie nickte lächelnd. »Na los, ich bin entschlossen, dich wenigstens einmal zu schlagen.«
* * *
Beattie war erleichtert, dass Lucy ihr neues Zuhause, das sie anfänglich verachtet hatte, bald sehr aufregend fand. Es gab Hunde und Pferde, Kaninchen und Kängurus, weite Wiesen, auf denen sie umhertollen konnte, und die große, hallende Küche, in der sie mit den neuen Stiften malen durfte, die Henry ihr geschenkt hatte. Teppiche und Bett trafen in der ersten Woche ein, und sie gewöhnte sich bald wieder an das Leben mit ihrer Mutter.
Zuerst hatte Lucy Angst vor Mikhail, doch das legte sich rasch. Er kam jeden Abend zu Besuch, und Lucy schlief ein, während er und ihre Mutter um Streichhölzer pokerten. Beattie stellte fest, dass sie ein Händchen für das Spiel hatte: Sie hatte jahrelang den Männern dabei zugesehen und gelernt, die Hand des Gegners aus minimalen körperlichen Reaktionen herauszulesen. Bald schlug sie Mikhail fast in jeder Runde. Er nannte sie die Zarin mit den Streichhölzern, und Lucy beschwerte sich, ihre Mutter würde nicht »Sarin« heißen und er solle es endlich richtig lernen.
Zwei Tage bevor Henry seine Tochter wieder abholen sollte, kam Alice zu Beattie in die Waschküche. Lucy saß auf einer umgedrehten Obstkiste und zwängte mühsam eine Wäscheklammerpuppe in ein winziges Kleid, das sie selbst genäht hatte. Beattie zog Raphaels Bettlaken durch die Mangel, während der Waschkessel neben ihr abkühlte. Ihre Arme taten weh, und ihre Stirn war schweißnass.
»Beattie, Telefon für dich«, sagte Alice.
Sie wischte sich die
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