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Der Wind der Erinnerung

Der Wind der Erinnerung

Titel: Der Wind der Erinnerung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kimberley Wilkins
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sie war begeistert und ganz verrückt nach Ballett. Und beim ersten Tanz hatte ich gesehen, dass sie den anderen etwas voraushatte.
    Nachdenklich schaute ich mir den Rest der Probe an. Marlon ging wunderbar mit den Kindern um, war streng und doch liebevoll und machte manchmal freche Witze, um sie zum Lachen zu bringen. Patrick spielte herrlich Klavier und blieb ruhig und geduldig.
    Als die Probe vorbei war und die Kinder fröhlich plappernd hinausgingen, kam Mina noch einmal zu mir.
    »Kommst du nächste Woche wieder?«
    »Das weiß ich nicht. Ich werde es versuchen. Patrick muss mich fahren, ich muss ihn erst fragen.«
    »Bringst du mir Ballett bei?«
    »Mina, ich bin nur für kurze Zeit in Tasmanien.«
    Patrick hatte seinen Namen gehört und kam zu uns herüber. »Na los, Mina, draußen wartet dein Dad.« Er führte sie weg.
    Ich hängte mir die Tasche über die Schulter.
    Dann war Patrick wieder da. »Sie lebt allein mit ihrem Vater.«
    »Er muss sehr stolz auf sie sein.«
    »Er kommt nie herein.«
    »Ehrlich?«
    »Er setzt sie ab und holt sie wieder. Ich sehe ihn immer nur durch die Windschutzscheibe. Sie ist die Älteste, gerade siebzehn geworden.«
    »Sie wirkt sehr engagiert.«
    »Ja, sie ist ganz erstaunlich. Aber manchmal auch traurig. Wir tanzen immer nur zu alten Musicalmelodien oder Popballaden. Ich glaube, sie möchte mal richtiges Ballett tanzen.«
    Ich wollte schon meine Hilfe anbieten, überlegte es mir aber anders. Bald wäre ich wieder weg. Also lieber keine falschen Hoffnungen wecken.
     
    Monica und ich machten Fortschritte. Allmählich fiel es mir leichter, mich von Dingen zu trennen. Ich musste nicht jede Geburtstagskarte behalten, die Grandma bekommen hatte, und nicht jede Kindergartenzeichnung von Onkel Mike. Es war nur noch eine Woche bis zu meinem Abflug, und wenn ich rund um die Uhr arbeitete, würde ich es womöglich schaffen. Monica blieb abends länger. Ich sortierte bis in die frühen Morgenstunden Kartons aus und träumte von weiteren Kartons, die mit zahllosen bunt zusammengewürfelten, undefinierbaren Dingen gefüllt waren.
    Dann fand Monica den Schlüssel. Sie machte gerade im Esszimmer sauber und holte nacheinander die Schubladen aus dem eichenen Sideboard. Der Schlüssel war nicht versteckt, er war nur hinten in eine Schublade gerutscht und hatte sich verklemmt.
    »Sieh mal«, sagte sie von der Küchentür aus. Ich sortierte gerade Geschäftsbriefe, die ich auf dem Tisch ausgebreitet hatte.
    Ich blickte auf. Sie reichte ihn mir und erklärte, wo sie ihn gefunden hatte.
    »Der kann doch nur für das Schererhäuschen sein, oder?«
    »Es ist die einzige Tür, die wir nicht aufschließen konnten«, sagte sie.
    »Kannst du mal nachsehen?«
    Sie nickte und ging durch die Waschküche nach draußen. Ich überflog gerade einen alten Brief, den ein Wollklassierer an Grandma geschrieben hatte. Ich verstand kaum, worum es ging, und wusste nicht, ob er wichtig war. Er stammte von 1938 , vielleicht wollte Penelope Sykes ihn haben. Ich seufzte und begann mit einem neuen Stapel. Ich spielte mit dem Gedanken an eine Kaffeepause.
    Dann polterte Monica die Treppe hoch. »Emma!«
    Sie blieb keuchend vor mir stehen.
    »Oh, mein Gott. Es ist voll.«
    »Voll?«
    »Komm und sieh selbst.«
    Ich stand mühsam auf. Wenn ich lange gesessen hatte, war das Aufstehen furchtbar. Ich folgte Monica vorsichtig die Treppe hinunter und durch die Waschküche nach draußen.
    Die Sonne schien, aber es war noch kühl. Die hohen Eukalyptusbäume am Rand des Grundstücks wiegten sich in der sanften Morgenbrise. Zwei Kaninchen hoppelten davon. Wir gingen durchs Tor und über das zugewucherte Feld zum Schererhäuschen, das aus faserigem Eukalyptusholz gebaut war. Die Tür stand offen. Überall hingen Spinnweben. Und da waren Kisten. Noch mehr Kisten. Kisten in jedem Zimmer.
    »Himmel«, sagte ich.
    »Wann geht der Flug?«
    »Am Sonntag um eins.« Sie lächelte, und obwohl mich der Gedanke an weitere Kisten schier überwältigte, musste ich lachen. »Ich fliege nicht nach Hause, oder?«
    Sie zuckte mit den Schultern. »Du könntest natürlich alles zur Müllkippe bringen.«
    Aber das konnte ich nicht. Denn mir wurde klar, dass ich etwas in diesen Kisten suchte. Ich suchte nach der Geschichte meiner Großmutter, die eine Schaffarm geschenkt bekommen hatte, nach dem kleinen Mädchen auf dem Foto, nach dem, was Grandma gemacht hatte, bevor meine Mutter und Onkel Mike geboren wurden und sie sich als Geschäftsfrau und Ehefrau

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