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Der Winterpalast

Der Winterpalast

Titel: Der Winterpalast Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Stachniak
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umhüllte Skulpturen herum, die für den Neubau bestimmt waren.
    Eine Zeit lang hielt die Kaiserin weiter Audienz im Thronsaal, aber auf die Dauer war das lautstarke Hämmern und Sägen ringsum allzu lästig. Der britische Botschafter rutschte auf frischem Mörtel aus und verstauchte sich den Knöchel. Gräfin Rumjanzewa ruinierte sich die Schuhe, als sie in eine Teerpfütze trat. Als schließlich auch noch Iwan Schuwalow sich beklagte, dass er von dem permanenten Lärm Kopfschmerzen bekam, begann man mit dem Packen für den großen Umzug.
    Mittlerweile standen die Traubenkirschen in voller Blüte, die Ufer der Newa waren mit Blumen übersät, und der provisorische Palast an der Stelle, wo die Große Perspektivstraße die Moika überquert, war bezugsfertig. Er bestand aus einem Geschoss, darüber kam direkt der Dachboden, alles ziemlich windig gebaut. Wenn jemand durch den Flur ging, wackelte überall der Fußboden. Es war schon jetzt abzusehen, dass es allerlei Probleme geben würde, vor allem im Winter. Und der Palast bot nicht genügend Platz für den gesamten Hofstaat.
    »Es ist schließlich nur für ein Jahr«, sagte die Kaiserin gereizt und machte damit dem Gerangel um den knappen Raum ein Ende. Sie wollte keine Klagen und Beschwerden mehr hören. Dann reiste sie mit ihrem Gefolge nach Peterhof ab. Katharina und Peter zogen für den Sommer nach Oranienbaum. Alle anderen sollten sich beim Umzug nützlich machen.
    Eine Phase des Übergangs , dachte ich. Eine Gelegenheit, darüber nachzudenken, welche Optionen es gibt.
    Die Räume, die Katharina in dem Provisorium bewohnen sollte, lagen weit entfernt von denen des Großfürsten und der Kaiserin, aber nahe bei meiner Wohnung. Vielleicht hatten meine Anstrengungen, die Kaiserin davon zu überzeugen, dass Katharina sich mit ihrem Schicksal abgefunden hatte, ja doch gefruchtet.
     
    Ich hatte den Auftrag erhalten, den Umzug des kaiserlichen Schlafzimmers zu beaufsichtigen, und verbrachte die schönen Sommertage mit endlosen Diskussionen und Überlegungen, was eingelagert und was in die Übergangswohnung der Kaiserin mitgenommen werden sollte. Es war eine Zeit voller Spannungen, Tage voller Murren und Klagen, voller Ärger mit Dienstboten, etwa wenn ich hochnotpeinliche Untersuchungen anstellen musste, weil schon wieder ein Fächer aus Schwanenhaut verschwunden war oder ein venezianisches Riechfläschchen oder gar Elisabeths Lieblingskamm aus Schildpatt. Was wird als Nächstes an der Reihe sein? , dachte ich. Ihre Schuhe?
    Die kaiserlichen Katzen wurden in ihr neues Zuhause gebracht und suchten prompt das Weite. Ein paar Tage lang blieben sie unauffindbar, aber dann kamen sie wieder, eine nach der anderen, rieben ihre Köpfe an Türstöcken und Möbeln und machten es sich auf den Schuhen der Kaiserin oder auf Kissen bequem.
    Mein Schlafzimmer war so klein, dass es gerade einmal Platz genug für ein Bett, eine Frisierkommode und ein kleines Schränkchen bot. Den größten Teil meiner Garderobe musste ich in Koffern auf dem Dachboden aufbewahren.
    Der Umzug erschöpfte mich. Wenn ich spätabends die Augen schloss, verfolgten mich Bilder von Leuten, die mit Kisten, Rupfen und Stroh hantierten.
    Darja dagegen war selig. In ihrer Phantasie verwandelten sich leere Säle und Zimmer in Ozeane, mit Tüchern verhüllte Sofas in unbewohnte Inseln. Auf dem Dachboden, wo die Waschfrauen
die Wäsche zum Trocknen aufhängten, sah sie den Katzen zu, die in Körben mit sauberen Leintüchern herumtollten. »Schau, Maman«, rief sie immer wieder entzückt, aber ich achtete mehr auf die losen Dielen und Ritzen im Boden.
    Ideal für jeden Spion , dachte ich. So bekommt man alles mit, was in den Räumen unten vorgeht.
    Wenn es Momente der Leere gab in dieser Zeit, so ignorierte ich sie. Kurz vor unserem Umzug war Igors Marschbefehl gekommen. Es ging alles ganz schnell. Eben noch hatte er in unserem Wohnzimmer gestanden in seiner neuen Uniform – grüner Rock mit goldenen Knöpfen – und sich darüber beschwert, dass der Kragen ihn drückte. Darja setzte sich seinen Tschako auf. Igor beugte sich zu ihr hinunter und erklärte ihr, dass die drei Buchstaben EPI , die darauf standen, für Elisaweta Petrowna Imperatriza standen. Schniefend und mit rotgeweinten Augen hängte Mascha ihm ein Medaillon mit einem Heiligenbild um den Hals. Er versprach, auf sich aufzupassen und regelmäßig zu schreiben. Er machte Witze. Sein frisch rasiertes Gesicht war heiter und leicht gerötet, als er das

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