Der Wolf der Wall Street: Die Geschichte einer Wall-Street-Ikone (German Edition)
sein halbes Leben lang darauf gewartet hat, eine bestimmte Frage zu stellen. Da dieser Mann der Klotzkopf war, hatte ich keinen Zweifel, dass die Frage entweder maßlos dumm oder maßlos unwichtig war. Was immer es auch war, ich reagierte auf ihn, indem ich das Kinn hob und ihn kurz anschaute. Obwohl er den eckigsten Kopf von ganz Long Island hatte, war er eigentlich gutaussehend. Er hatte die weichen, runden Gesichtszüge eines kleinen Jungen und war mit einer ziemlich guten Statur gesegnet. Er war mittelgroß und mittelschwer und das war überraschend, wenn man bedenkt, aus wessen Lenden er gezeugt worden war. Gladys Greene, die Mutter des Klotzkopfs, war eine dicke Frau. Überall. Angefangen bei ihrer Krone, dem bienenkorbartigen, ananasblonden Haar, das sich 15 Zentimeter über ihren jüdischen Schädel erhob, und den ganzen Weg hinunter bis zu ihren dicken, schwieligen Füßen Größe 44 war Gladys Greene dick. Sie hatte einen Hals wie ein kalifornischer Redwood-Baum und Schultern wie ein Linebacker aus der nationalen Footballliga. Und ihr Bauch ... nun ja, der war schon dick, aber da war kein Gramm Fett dran. Normalerweise haben russische Gewichtheber solche Bäuche. Und ihre Hände waren so groß wie Fleischerhaken. Das letzte Mal, dass jemand Gladys richtig aufgebracht hatte, war in der Schlange an der Kasse des Grand Union. Eine von diesen typischen Long-Island-Jüdinnen mit großer Nase, die sie überall hineinstecken, wo sie nichts zu suchen haben, beging einen bösen Fehler und informierte Gladys über die Tatsache, dass sie die maximale Anzahl von Artikeln überschritten hatte, mit der man an der Schnellkasse bezahlen und sich moralisch im Recht fühlen konnte. Gladys drehte sich um und versetzte ihr über den Arm hinweg mit voller Wucht einen Boxschlag. Während die Frau noch ohnmächtig war, bezahlte Gladys in aller Seelenruhe ihre Lebensmittel und ging schnell weiter, wobei ihr Puls nie über 72 stieg.
Man brauchte also keine logischen Klimmzüge, um zu begreifen, wieso der Klotzkopf geistig nur einen Hauch gesünder war als Danny. Zu seiner Verteidigung muss allerdings gesagt werden, dass er in seiner Jugend viel durchgemacht hatte. Sein Vater starb an Krebs, als Kenny erst zwölf war. Er war Besitzer eines Zigarettenvertriebs gewesen, der - ohne dass Gladys davon wusste - sehr schlecht geführt worden war und Hunderttausende Dollar Steuerschulden hatte. Und mir nichts, dir nichts befand sich Gladys in einer verzweifelten Lage: alleinerziehende Mutter am Rand des finanziellen Ruins. Was sollte Gladys tun? Die Zelte abbrechen? Sozialhilfe beantragen? Aber nein, keine Chance! Dank ihres starken Mutterinstinkts führte sie Kenny in die trübe Unterwelt des Zigarettenschmuggels ein - sie brachte ihm die kaum bekannte Kunst bei, wie man Marlboro- und Lucky-Strike-Kartons umpackte und mit gefälschten Steuermarken von New York nach New Jersey schmuggelte, wo man die Preisdifferenz kassieren konnte. Wie das Glück es wollte, funktionierte der Plan wunderbar und die Familie konnte sich über Wasser halten. Aber das war erst der Anfang. Als Kenny 15 wurde, merkte seine Mutter, dass seine Freunde anfingen, eine andere Art von Zigaretten zu rauchen, nämlich Joints. Ob Gladys da sauer wurde? Nicht im Geringsten! Ohne einen Augenblick zu zögern baute sie den pubertie renden Klotzkopf zum Pot-Dealer auf - sie bot ihm Finanzierung, Ansporn, einen sicheren Ort für seinen Handel und natürlich Schutz, das war nämlich ihre Spezialität.
Oh ja, Kennys Freunde wussten sehr gut, wozu Gladys Greene im Stande war. Sie hatten da so Geschichten gehört. Aber sie wurde nie gewalttätig. Ich meine, welcher 16-Jährige will schon, dass eine 250 Pfund schwere jüdische Mama bei seinen Eltern vor der Tür steht und Drogenschulden eintreiben will - vor allem, wenn sie einen lila Polyester-Hosenanzug, lila Pumps Größe 44 und eine rosa Plastikbrille mit Gläsern so groß wie Radkappen trug?
Aber Gladys lief sich damit erst warm. Denn unabhängig davon, ob man Marihuana mag oder nicht, musste man ja beachten, dass es die zuverlässigste Einstiegsdroge auf dem Markt war, vor allem für Teenager. Im Lichte dieser Tatsache wurde Kenny und Gladys schnell klar, dass auf dem Teenager-Drogenmarkt von Long Island noch andere ökonomische Lücken zu schließen waren. Oh ja, dieses weiße fitmachende Pulver aus Bolivien namens Kokain bot eine zu große Gewinnspanne, als dass glühende Kapitalisten wie Gladys und der Klotzkopf
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