Der Wolfsthron: Roman
Clan-Umhang aus feinstem, perlenbesetzten Hirschleder mit magischen Symbolen und kleinen Talismanen darauf – eine Art magische Waffe.
Cat umklammerte Dancers Arm auf besitzergreifende Weise und beäugte unsicher die strahlend herausgeputzten Gäste. Im Gegensatz zu den Grauwölfen hatte sie heute Dienst im Ballsaal. Und sie fühlte sich unter den Blaublütigen immer noch unwohl.
Han stand allein in der Reihe. Er verbeugte sich tief, um Raisas Hand zu küssen. Sie spürte den raschen Druck seiner heißen Hand, als er murmelte: »Eure Hoheit.«
Amon kam mit seiner Verlobten Annamaya, die wunderschön aussah und in kanariengelbe Seide gekleidet regelrecht leuchtete. Und sämtliche Bayars waren da, eine Studie in Schwarz und Weiß.
Reid Nightwalker stand ebenfalls allein in der Reihe, aber Raisa vermutete, dass er nicht ohne Begleitung wieder gehen würde. Auch wenn einige Frauen im Vale nicht einmal im Traum daran dachten, mit einem Kupferkopf auszugehen, fanden andere seinen gefährlichen Ruf und sein auf exotische Weise gutes Aussehen faszinierend.
Nightwalker war einer der Ersten auf Raisas Tanzkarte, und er verlangte einen lebhaften Clan-Tanz, nach dem Raisa gerötet und atemlos und mit wackeligen Knien dastand. Es war nicht leicht, so etwas in einem Ballkleid zu tanzen.
Er holte ihr ein Glas Wein. »Ihr tanzt wie eine Clan-Prinzessin«, sagte er und nickte anerkennend. »Ich hatte gehofft, dass Ihr heute Clan-Kleidung tragen würdet.«
»Wir feiern in den Camps noch einmal, wenn die Krönungszeremonie hier vorüber ist«, versprach Raisa. »Mein Vater und meine Großmutter planen das Fest bereits. Dafür werde ich mich entsprechend ankleiden. Aber dies hier ist doch eher eine Flatland-Party.«
»Ich freue mich darauf, Euch für mich allein zu haben, Thorn Rose«, sagte Nightwalker und beugte sich dann ein bisschen näher zu ihr. »Es tut gut, jemanden mit Clan-Blut auf dem Thron der Fells zu sehen.« Er verneigte sich, dann drehte er sich um und ging über die Tanzfläche auf seine wartenden Bewunderinnen zu.
Danach jagte ein Tanz den anderen, und jedes Mal hatte sie einen neuen Tanzpartner. Es kam Raisa so vor, als erwartete man von ihr, dass sie mit jedem wichtigen Gast wenigstens einmal tanzte. Viele von ihnen trampelten ihr dabei auf die Zehen, weil sie mit den Tänzen des Nordens nicht vertraut waren.
Wie schade, dachte Raisa, dass ich nicht mit zwei auf einmal tanzen und das Ganze schneller hinter mich bringen kann.
Nach ungefähr der Hälfte des Abends war Micah auf ihrer Tanzkarte an der Reihe. Sie musste zugeben, dass es ein Vergnügen war, mit ihm zu tanzen, nachdem sie so viele Tänzer mit zwei linken Füßen ertragen hatte.
»Nun«, sagte er und sah ihr in die Augen, »es gab Zeiten, da hätte ich nicht gedacht, dass Ihr lange genug leben würdet, um Königin zu werden.«
»Dass ich es doch noch geworden bin, ist sicher nicht Eurem Vater zu verdanken«, sagte Raisa und nickte Lord und Lady Bayar zu, die den Tanzenden zusahen.
»Nein, das ist sicher nicht meinem Vater zu verdanken«, gab Micah ihr recht.
»Aber zum Teil vermutlich Euch«, sagte Raisa großzügig. Verglichen mit Gerard Montaigne wirkte Micah beinahe ehrenhaft.
Er lächelte leicht, drückte sie etwas näher an sich heran und berührte ihren Hals mit seinen Lippen.
Raisa versteifte sich und zog sich zurück. »Vorsicht, Bayar«, warnte sie ihn. Sie konnte den Impuls nicht unterdrücken, sich nach Han umzusehen. Er hatte sie verunsichert, was vielleicht seine Absicht gewesen war. Sie fand Han nicht, aber sie sah, dass Nightwalker sie beobachtete, mit einem Gesicht so düster wie eine Gewitterwolke.
»Bitte akzeptiert meine Entschuldigung, Eure Hoheit«, sagte Micah, aber er wirkte ganz und gar nicht so, als täte es ihm leid. »Es ist nur … Ihr seid heute Abend einfach unwiderstehlich.«
»Themawechsel«, bestimmte Raisa rundheraus.
»Wie fühlt Ihr Euch?«, fragte Micah. »Als Königin, meine ich?«
»Es ist erst ab morgen offiziell, vergesst das nicht«, sagte Raisa. »Aber ich fürchte, es ist schon jetzt etwas beängstigend. Es gefällt mir nicht, dass Gerard Montaigne nur wenige Tage, nachdem er seinen Bruder umgebracht hat, hier aufkreuzt. Jetzt hat er zwei riesige Armeen und nichts für sie zu tun.«
»Mir gefällt das auch nicht«, pflichtete Micah ihr bei. »Es wäre besser für uns gewesen, wenn sein Bruder noch etwas länger gelebt hätte. Glaubt Ihr, dass die Lehnsherren sich Gerard anschließen werden?
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