Der Wolkenpavillon
Reisfelder zu beiden Seiten der Straße, um den Boden damit zu düngen.
Reiko blickte durch das Fenster der Sänfte auf Sano, der ihr soeben von dem Gespräch mit seinem Onkel erzählt hatte. »Also ist die Verbindung zwischen dir und den Kumazawa schon wieder abgerissen«, sagte sie. »Gibt es eine Chance, dass ihr euch versöhnt?«
»Im Moment sieht es nicht danach aus. Vielleicht ist es auch besser so.«
Reiko betrachtete das Profil ihres Mannes, während er im Schritttempo neben ihrer Sänfte herritt. Seine Miene war streng. Reiko konnte seine Enttäuschung verstehen. Er hatte sich Hoffnungen gemacht, ein gutes Verhältnis zwischen seiner Familie und den Kumazawa zu schaffen und seine verstoßene Mutter wieder mit ihrem Klan zu versöhnen. Nun waren alle diese Hoffnungen zunichte. Auch Reiko war enttäuscht.
»Aber du wirst die Ermittlungen weiterführen, nicht wahr?«, fragte sie.
»Natürlich«, antwortete Sano, allerdings ohne die gewohnte Begeisterung. »Ich habe wichtige Fortschritte gemacht.« Er erzählte Reiko von den drei Verdächtigen.
Furcht stieg in Reiko auf. Sanos Position innerhalb des Regimes war zwar seit längerer Zeit gesichert, aber das würde sich ändern, wenn er mit Nanbu, Ogita oder Joju aneinandergeriet, die allesamt einflussreiche Männer waren. Obwohl Reiko Angst um ihre Familie hatte, sagte sie: »Ich werde alles tun, um dir zu helfen.«
Sano lächelte dankbar. »Im Moment kannst du nicht viel zu den Ermittlungen beitragen.«
»Sucht Hirata immer noch nach den Fahrern der Ochsenkarren?«
»Seine Leute, er selbst nicht«, antwortete Sano. »Hirata ist in Schwierigkeiten geraten.«
Reikos Furcht wuchs, als Sano ihr die Geschichte erzählte. »Aber wir werden Jinshichi und Gombei schon erwischen«, sagte er schließlich. »Vielleicht werden sie Nanbu, Ogita und Joju durch ihre Aussagen belasten, sodass ich gegen sie vorgehen kann, ohne dich und mich in Gefahr zu bringen.« Er zögerte. »In der Zwischenzeit musst du dich vom Anwesen der Kumazawa fernhalten. Du wärst dort nicht sicher. Außerdem bist du dort nicht mehr willkommen.«
Reiko wusste, dass die Entfremdung zwischen Sanos Familie und dem Kumazawa-Klan auch sie mit einschloss, dennoch sagte sie: »Aber Chiyo und ich sind gute Freundinnen geworden. Außerdem ist Fumiko dort. Ich muss die beiden beschützen.«
»Das ist nicht deine Aufgabe. Ich schicke eine Einheit Soldaten dorthin. Sie werden bei der Bewachung des Anwesens helfen.«
Reiko seufzte. In der Vergangenheit hatte sie sich Sanos Anweisungen mehr als einmal widersetzt, doch sie wusste, dass sie seine Wünsche diesmal respektieren musste. Sie würde ihre Freundschaft zu Chiyo und Fumiko hintanstellen müssen, bis Sano und Kumazawa sich versöhnt hatten.
Falls es je dazu kam.
Der langsame Gang der Sänftenträger machte die Reise zum Palast lang und beschwerlich. Der Verkehr auf der Fernstraße wurde immer dichter, und das Vorankommen wurde immer mühsamer, auch durch die Aufenthalte an den Kontrollstationen und wegen des Gewühls auf den Straßen und Gassen der Stadt. Als die Reisegruppe endlich den Palast erreichte, war es fast Mittag. Reiko gähnte. Sie war froh, zu Hause zu sein. Sie brauchte jetzt erst einmal Ruhe und Ungestörtheit.
Einer der Wachsoldaten am Tor sagte zu Sano: »Der Shōgun hat eine Nachricht für Euch hinterlegt, ehrenwerter Kammerherr. Er wünscht Euch unverzüglich im Inneren Palast zu sehen.«
*
Sie trieb in einer Welt zwischen Schlafen und Wachen dahin. Als sie die Augen aufschlug, sah sie einen Himmel voller Wolken und Nebelfetzen. Sie schwebte auf diesen Wolken, getragen von der grauen, wogenden Masse. Jedes Mal, wenn sie ausatmete, liefen feine Wellen über die rauchige Oberfläche. Die Wolken umhüllten sie mit ihren feuchtkalten Händen. Anfangs schlummerte sie friedlich, glaubte sich in einem angenehmen Traum gefangen.
Dann begannen die Wolken zu wirbeln.
Sie sogen sie in sich hinein, und Schwindel erfasste sie. Ihr wurde übel. Plötzlich gab es keine Richtungen mehr, kein Oben und Unten, kein Rechts und Links, keine markanten Punkte, an denen sie ersehen konnte, wo es zum Himmel ging und wo zur Erde. Sie hatte das Gefühl, zugleich von einem Strudel in die Tiefe gezogen und von einem Wirbelsturm in die Höhe gerissen zu werden. Sie blinzelte, von eisiger Furcht gepackt, um sich aus dem Traum zu befreien, und versuchte, irgendetwas zu erkennen, aber die Wolken waren so dicht, dass sie nicht hindurchblicken konnte. Sie
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