Der Wolkenpavillon
es nicht so viele Verbrecher, die es auf mich und meine Familie abgesehen haben. Es ist auch Euer Fehler!«
Nun war es Yanagisawa, der entsetzt dreinblickte, und diesmal war es Sano, der sich auf die Seite seines alten Widersachers schlug. »Bei allem gebotenen Respekt, ehrenwerter Shōgun«, sagte er, »aber Kammerherr Yanagisawa hat mit dem Verschwinden Eurer Gemahlin nicht das Geringste zu tun.«
»Habt Ihr nicht gehört, was ich gesagt habe?«, rief der Shōgun erbost. »Wenn ich sage, dass Yanagisawa eine Mitschuld trifft, dann ist es so!« So widersinnig es sich auch anhören mochte, aber Tokugawa Tsunayoshi hatte recht, denn sein Wort war Gesetz. Er blickte seinen einstigen Geliebten aus tränenfeuchten Augen an. »Ihr habt mich bitter enttäuscht, Yanagisawa -san «, sagte er. »Wenn meine Gemahlin nicht gefunden wird, werdet Ihr das Schicksal von Kammerherr Sano teilen!«
Damit drehte der Shōgun sich um und eilte zu seinen Gemächern, gefolgt von seinen verängstigten Dienern, die sich vor seinen Launen fürchteten. Die Soldaten und die Beamten verschwanden so schnell wie Ameisen, die in ihren Bau flüchteten. Sano, seine Ermittler und Yanagisawa blieben zurück und blickten einander betroffen an.
»Nun denn«, sagte Sano schließlich zu Yanagisawa. »Ich glaube, wir sollten uns an die Arbeit machen.«
35.
Zwei Heere berittener Samurai näherten sich dem Chomei-Tempel, an dem Nobuko verschwunden war. Sano führte die eine Armee, Yanagisawa die andere. Nachdem sie und ihre Soldaten ihr Ziel erreicht hatten, befragten sie Pilger, Mönche und Nonnen und durchsuchten die Tempelanlage. Der Nachmittag verging, die Dunkelheit brach herein. Mit Fackeln in den Händen schwärmten die Soldaten aus und durchforschten die Umgebung des Tempels und den umliegenden Mukojima-Distrikt. Sie gingen von Tür zu Tür, befragten die Hausbewohner und durchsuchten sämtliche Gebäude. Der neue Tag dämmerte bereits herauf, als Sano und Yanagisawa sich mit ihren Armeen wieder auf den Weg zurück zum Palast zu Edo machten.
»Wo ist meine Gemahlin?«, wollte der Shōgun wissen, als die beiden Kammerherrn seine Privatgemächer betraten. »Habt Ihr sie endlich gefunden?«
»Leider nicht, Herr«, sagte Sano.
Nobuko war wie vom Erdboden verschluckt.
Der Shōgun setzte eine mürrische Miene auf, ließ sich von der schlechten Nachricht aber nicht von seinem üppigen Frühstück abhalten. Es gab Garnelen, Nudeln, gedünstete Bohnen und süßen Kuchen. Sanos Magen knurrte. Er hatte seit dem gestrigen Abend nichts gegessen.
»Dann sucht weiter«, befahl der Shōgun. »Wenn Ihr Nobuko bis zum morgigen Sonnenaufgang nicht gefunden habt, rollen Eure Köpfe.«
Sano durchfuhr es eiskalt. Ihnen blieben nur vierundzwanzig Stunden!
»Jawohl, Herr«, sagte Yanagisawa.
Er sah genauso müde und entmutigt aus, wie Sano sich fühlte. Als sie durch die Flure des Inneren Palasts gingen, sagte Yanagisawa hoffnungsvoll: »Wenn die Sache auch diesmal so abläuft wie bei den drei bisherigen Fällen, werden wir nicht mehr lange suchen müssen. Mit ein bisschen Glück wird der Entführer Nobuko sehr bald in der Nähe des Tempels wieder laufen lassen, sodass wir die Zeitvorgabe einhalten können.«
»Das reicht nicht, das wisst Ihr genau«, entgegnete Sano, den Hunger und Müdigkeit reizbar machten. »Der Shōgun will seine Frau heil und gesund zurück, nicht vollgepumpt mit Drogen und vergewaltigt.«
»Ja, was für ein Pech.« Dann fügte Yanagisawa hinzu. »Ich habe Yoritomo nicht dazu angestiftet, eine Verbindung zwischen Euren Ermittlungen und Nobukos Verschwinden herzustellen. Das war wieder einmal seine eigene Idee. Es tut mir noch mehr leid als beim letzten Mal.«
*
»Glaubt Ihr ihm, Sano- san «?«, fragte Hirata.
Die beiden Männer sowie Marume und Fukida hatten sich in den Privatgemächern in Sanos Villa eingefunden, wo sie eine rasche Mahlzeit zu sich nahmen. Hirata hatte gehört, was geschehen war, und wollte unbedingt die Neuigkeiten erfahren.
»Ja und nein«, antwortete Sano. Reiko schenkte ihm und den Ermittlern Tee ein, dann trug sie Reisgrütze mit Fisch und eingelegtem Gemüse auf. Marume und Fukida, die beide die ganze Nacht mit Sano zusammengearbeitet hatten, schlangen das Essen hinunter. Sano redete weiter, während er hastig aß, wobei er sich nicht um die Tischmanieren scherte, so hungrig war er. »Ich glaube wirklich, dass es Yanagisawa leidtut, was Yoritomo gesagt hat. Schließlich ist auch er selbst dadurch in
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