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Der Wolkenpavillon

Der Wolkenpavillon

Titel: Der Wolkenpavillon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laura Joh Rowland
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hoch und tastete mit der Hand darunter. Eines der Bodenbretter war kürzer als die anderen, außerdem war es lose. Sano schob die Finger unter das Brett, hob es an und ertastete einen quadratischen, leeren Hohlraum im Fußboden, ungefähr so lang wie sein Unterarm. Er blickte Ogita fragend an.
    Der Reisgroßhändler zuckte mit den Schultern. »Manchmal bewahre ich Geld dort auf«, sagte er.
    Doch irgendeine Ahnung sagte Sano, dass der Hohlraum anderen, geheimen Zwecken diente und dass Ogita vorhin erst in aller Eile die Matte darübergeschoben hatte, nachdem er irgendetwas aus dem Geheimfach im Fußboden genommen hatte. Sano bemerkte, dass Ogita in der Nähe eines verschiebbaren Raumteilers verharrte, der das Schlafgemach von seiner Schreibstube trennte. Als Sano die Trennwand zur Seite schob und die Schreibstube betrat, rührte Ogita sich nicht von der Stelle, noch erhob er Einspruch. Dennoch schloss Sano aus dem Verhalten des Reisgroßhändlers, dass er tatsächlich irgendetwas aus dem Fach im Boden genommen und eilig in der Schreibstube versteckt hatte, zumal man vom Schlafzimmer aus schnell dort war und da es reichlich Verstecke bot. Um das Schreibpult herum standen zahlreiche feuersichere Schränke und Truhen aus Eisen.
    »Abends arbeite ich immer zu Hause«, sagte Ogita. »Ich brauche nicht viel Schlaf. Das ist das Geheimnis meines Erfolges ...«
    Während Ogita weiterredete, bewegte Sano sich durch die Schreibstube, wobei er darauf achtete, ob sich Anspannung in Ogitas Stimme schlich. Und genau das geschah, als Sano sich einem der Schränke näherte.
    »Oh, in dem Schrank sind nur alte Verkaufsunterlagen«, stieß Ogita hastig hervor.
    Sano öffnete den Schrank, in dem nebeneinander aufgereiht die Hauptbücher standen. In einer dieser Buchreihen steckte ein dünneres Buch mit einem schimmernden Einband aus Teakholz, gerade groß genug, dass es in das Versteck im Boden gepasst hätte. Sano zog das Buch heraus, schlug es auf, zeigte es Ogita und fragte: »Was für eine Akte ist das?«
    Das Buch war ein sogenanntes Shunga, »Frühlingsbilder«, ein Bildband mit erotischer Kunst. Auf der ersten Seite war das Bild einer Frau zu sehen, die sich entkleidete. Ein Mann stand draußen vor ihrem Zimmer, beobachtete sie durch ein Fenster und befriedigte sich selbst.
    »Nichts«, sagte Ogita.
    Sano blätterte um. »Wenn es nichts ist, warum habt Ihr es dann versteckt?« Das nächste Bild zeigte den Mann im Zimmer. Er hielt die Frau fest und streichelte sie, wobei er sein steifes Glied an sie presste, während die Frau sich von ihm loszureißen versuchte, den Kopf in den Nacken geworfen, den Mund zu einem Schrei geöffnet.
    »Jeder Mann in Edo hat solche Bücher«, sagte Ogita.
    »Aber nicht jeder Mann in Edo ist ein Verdächtiger in drei, wahrscheinlich sogar vier Entführungs- und Vergewaltigungsfällen.« Sano blätterte weiter. Das nächste Bild zeigte die Frau mit gespreizten Beinen, während der Mann sein Glied in sie hineinstieß. Die Frau lag schlaff da, mit geschlossenen Augen, als wäre sie bewusstlos. »Vielleicht schaut Ihr Euch ja nicht nur diese Bilder an.«
    Ein zorniger, trotziger Ausdruck überdeckte die Furcht, die sich auf dem Gesicht des Reisgroßhändlers zeigte. »Und wenn es so wäre?«, fragte er und zeigte auf das Buch. »Das da beweist noch lange nicht, dass ich die Gemahlin des Shōgun in meinem Haus verstecke.«
    Marume und Fukida standen in der Tür und reckten den Hals, um einen Blick auf die Bilder zu werfen. »Wir sind mit der Suche fertig«, meldete Fukida. »Keine Spur von der Frau.«
    »Seht Ihr?«, sagte Ogita triumphierend. »Ich habe es Euch ja gleich gesagt.«
    Sano war enttäuscht, aber er war noch nicht bereit, den Reisgroßhändler aus dem Kreis der Verdächtigen auszuschließen. »Wo besitzt Ihr sonst noch Häuser?«
    »Mir gehört eine Villa in Honjo, auf der anderen Seite des Flusses, und ein Sommerhaus in den Hügeln vor der Stadt«, antwortete Ogita. »Aber dort werdet Ihr die Gemahlin des Shōgun auch nicht finden.«
    *

    »Verzeiht, ehrenwerte Reiko, aber diese Botschaft ist soeben für Euch gekommen«, sagte Leutnant Tanuma.
    Reiko saß auf der Veranda. Von sorgenvollen Gedanken an Sano geplagt, arrangierte sie Blumen in einer Vase. »Ist die Nachricht von meinem Gemahl?« In der Hoffnung, die Nachricht besagte, dass Sano die Frau des Shōgun gefunden hatte, nahm Reiko das Baumbusrohr, in dem das Schreiben steckte, von ihrem Leibwächter entgegen. Als sie die Schriftrolle

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