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Der Wolkenpavillon

Der Wolkenpavillon

Titel: Der Wolkenpavillon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laura Joh Rowland
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abgerissener Kleidung und mit schmutzigem Gesicht, die auf der Suche nach Essensresten zwischen den Ständen umherstreiften oder die Vorbeigehenden um Münzen anbettelten. Diese Kinder gehörten so selbstverständlich zum Stadtbild, dass Hirata ihnen nie besonders viel Aufmerksamkeit geschenkt hatte. Heute aber ließ er den Blick suchend über die zerlumpten Gestalten schweifen.
    Schließlich entdeckte er ein Mädchen, das vom Alter her passte. Sie kauerte auf dem Boden und verschlang pappigen Reis. Das lange, strähnige Haar hing ihr ins Gesicht. Sie trug einen weißen, völlig verdreckten Kimono, der mit einem Muster aus grünen Blättern bedruckt war.
    »Fumiko -san ?«, rief Hirata.
    Das Mädchen hob den Blick. Es hatte ein zartes, elfenhaftes Gesicht, dessen Schönheit nun aber durch Prellungen und verschorfte Wunden beeinträchtigt wurde. Sichtlich verwirrt, seinen Namen zu hören, und verängstigt vom Anblick Hiratas ließ es den Reisteller fallen und rannte davon.
    Hirata schwang sich vom Pferd und lief ihm nach. Fumiko war flink und schlängelte sich geschickt durch die Menschen. Doch seine längeren Schritte verschafften Hirata rasch einen Vorteil, und er hatte die mentale Fährte des Mädchens aufgenommen und behielt seine helle, flimmernde Aura im Auge, während es durch schmale Seitenstraßen huschte, in denen illegale Bordelle und Spielhöllen betrieben wurden. Vor den Eingängen standen die Prostituierten in aufreizender Kleidung und versuchten, Kunden anzulocken. Endlich gelang es Hirata, Fumiko in einem Hauseingang in die Enge zu treiben. Keuchend und zitternd duckte sie sich vor ihm, die Hände in den Ärmeln ihres Gewandes.
    »Hab keine Angst«, sagte Hirata.
    In Fumikos Augen stand nacktes Entsetzen. Nach zwei Monaten auf der Straße erinnerte sie eher an ein Tier als an einen Menschen.
    Hirata sagte dem Mädchen, wer er war. »Ich tue dir nichts«, versuchte er es zu beruhigen. »Ich will dir helfen.«
    Fumiko musterte ihn argwöhnisch. Hirata konnte es ihr nicht verdenken. Wie hätte sie einem fremden Mann trauen sollen, nachdem sie entführt, vergewaltigt und offensichtlich verprügelt worden war und nachdem der eigene Vater sie aus dem Haus geworfen hatte?
    Das Mädchen tat ihm leid. Er streckte die Hand nach ihm aus. »Komm mit. Ich bringe dich an einen Ort, wo du in Sicherheit bist und ...«
    Fumikos rechte Hand schoss aus dem Ärmel ihres Kimonos hervor. Die Dolchklinge blitzte, als sie nach Hiratas Gesicht stach. Im letzten Moment zuckte Hirata zurück und entging um Haaresbreite einer gefährlichen Schnittwunde. Blitzschnell huschte Fumiko an ihm vorbei und floh.
    »He!«, rief Hirata. »Bleib stehen!«
    Doch sie war bereits verschwunden.
    *

    Sano kam am späten Nachmittag nach Hause. Die Sonne war eine blasse, matt schimmernde Münze hinter grauen Wolken. Auf dem Hof seines Anwesens nahmen Stallburschen sich der Pferde von Sano und seinen Begleitern an. Die Tiere waren von den Hufen bis zu den Flanken mit Schlamm verspritzt. Auf der Veranda nahmen Diener Sano den nassen Hut und den triefenden Regenumhang ab. Dann trat Sanos Schreiber auf ihn zu. »Major Kumazawa ist hier und möchte Euch sprechen«, verkündete er.
    Sano war erstaunt, dass sein Onkel ohne Anmeldung und ohne Einladung erschienen war, zumal sie sich gestern nicht gerade in Freundschaft getrennt hatten. »Führe ihn ins Empfangsgemach.«
    »Aber bevor Euer Onkel erschienen ist, ehrenwerter Kammerherr, sind der Schatzminister und der Ältestenrat gekommen ...«
    »Ich werde zuerst mit Major Kumazawa sprechen.«
    Zum ersten Mal verspürte er so etwas wie Zuneigung gegenüber Kumazawa, auch wenn sie beide nicht besonders gut miteinander auskamen. Aber Blut war bekanntlich dicker als Wasser. Sano bemerkte mit einem Mal, dass er sich wieder danach sehnte, eine Familie zu haben, ein Gefühl, das ihm nach dem Tod seines Vaters und nachdem seine Mutter wieder geheiratet hatte, verloren gegangen war. Die Kumazawa waren seine nächsten Verwandten in dieser Stadt.
    Als Sano ins Empfangsgemach kam, ging Major Kumazawa auf und ab wie ein Soldat beim Drill. Seine Miene war so hart und so streng wie immer, doch seine Ruhelosigkeit zeigte Sano, dass er noch immer besorgt war wegen seiner Tochter.
    »Ich wollte mich erkundigen, ob Ihr bei den Ermittlungen Fortschritte gemacht habt«, sagte Kumazawa. »Verzeiht, dass ich einfach so auftauche, aber ich wollte Euch einen weiteren Ritt nach Asakusa ersparen.« Der Major klang höflicher als

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