Der Wolkenpavillon
herausgefunden. »Mein oberster Gefolgsmann ermittelt in dieser Sache. Ich nehme an, er wird mir bald Bericht erstatten.«
»Ihr meint also, die Fälle hätten etwas miteinander zu tun?«, sagte Major Kumazawa. »Aber vielleicht irrt Ihr Euch und verschwendet unnötig Zeit.«
Schärfer als beabsichtigt entgegnete Sano: »Und vielleicht mangelt es Euch an Erfahrung, darüber zu urteilen, wie die Ermittlungen ablaufen sollten.«
Beide Männer starrten einander feindselig an. Schließlich sagte Kumazawa: »Habe ich Euch eigentlich schon erzählt, dass ich Euren Vater einige Male getroffen habe?«
Sano spürte, wie seine Muskeln sich spannten, doch er antwortete mit kalter Stimme: »Ich kann mir denken, wann das war. Als er bei Euren Eltern um die Hand meiner Mutter angehalten hat. Und später noch einmal, beim miai, als mein Vater offiziell Eurer Familie vorgestellt wurde. Und schließlich bei der Hochzeit.«
Und jedes Mal war dem vornehmen Kumazawa-Klan keine andere Wahl geblieben, als sich mit Sanos Vater, dem niederrangigen rōnin, abzugeben.
Major Kumazawa nickte und musterte Sano aus schmalen Augen. »Ihr kommt nach Eurem Vater.«
Sano wusste, dass Kumazawas Bemerkung nicht nur auf Äußerlichkeiten abzielte, sondern auf unangenehme, wenn nicht sogar schlechte Charaktereigenschaften, insbesondere auf die unbedingte Entschlossenheit, den eigenen Willen durchzusetzen.
»Ihr habt meinen Vater doch kaum gekannt, weil Euer Klan ihn verachtet hat«, entgegnete Sano mit kalter Stimme. Sein Vater war ein traditionsbewusster Samurai gewesen, der an den überkommenen Geboten seiner Kaste festgehalten hatte: unbedingte Pflichterfüllung, blinder Gehorsam gegenüber Höhergestellten und tiefe Abneigung gegenüber jeder Art von Eigeninitiative - all das, was auf Sano eben nicht zutraf. »Es ist ein Zeichen von Dummheit, über einen Mann zu urteilen, von dem man kaum etwas weiß. Vielleicht kommt Ihr ja nach Eurem Vater.«
Zorn spiegelte sich auf Major Kumazawas Gesicht. »Mag sein, dass ich mich geirrt habe, ehrenwerter Kammerherr. Vielleicht schlagt Ihr ja eher nach Eurer Mutter.«
In Kumazawas Augen mochte es eine tödliche Beleidigung gegenüber Sano sein, ihn mit der entehrten Etsuko zu vergleichen, aber Sano hatte allen Grund, stolz auf seine Mutter zu sein und darauf, dass ihr Blut in seinen Adern floss. »Danke für das Kompliment, denn meine Mutter hat mehr für Japan getan als wir beide zusammen«, entgegnete er. Etsuko war vor längerer Zeit des Mordes angeklagt worden, doch Sanos Ermittlungen hatten bewiesen, dass es kein Mord gewesen war, sondern eine Heldentat. »Der Shōgun schätzt meine Mutter sehr und hat öffentlich erklärt, dass er ewig in ihrer Schuld steht. Wie Ihr wisst, hat sie vor einiger Zeit wieder geheiratet. Der Shōgun war bei der Hochzeit zu Gast, hat ihre Aussteuer bezahlt und dem Brautpaar so viel Gold geschenkt, dass beide ein sorgenfreies Leben führen können. Meine Mutter hat mehr erreicht als irgendjemand sonst aus Eurer Familie.« Die Bitterkeit, die plötzlich in Kumazawas Augen erschien, zeigte Sano, dass er einen wunden Punkt berührt hatte. Doch ehe der Major etwas entgegnen konnte, fragte Sano: »Habt Ihr meine Mutter eigentlich noch einmal gesehen, nachdem sie meinen Vater geheiratet hatte?«
Kumazawa, der auf diese Frage nicht gefasst war, antwortete: »Äh ... nein.«
Sano war das kurze Zögern Kumazawas nicht entgangen. »Seid Ihr mir einmal begegnet, als ich ein Junge war?«
»Natürlich nicht.«
»Seid Ihr sicher?«
»Wollt Ihr damit andeuten, dass ich ein Lügner bin?«, fuhr der Major auf.
»Nein«, antwortete Sano gleichmütig, »aber ich kann es nicht ausschließen.«
»Nach Etsukos Hochzeit bin ich weder ihr noch Euch begegnet«, sagte Kumazawa. »Das ist die Wahrheit, ob Ihr mir glaubt oder nicht.«
Doch Sano wusste, sein Onkel log. Er war sicher, dass seine nebelhaften Erinnerungen auf tatsächlichen Ereignissen beruhten: Er war tatsächlich vor vielen Jahren bei den Kumazawas gewesen und hatte seinen Onkel und seine Tante gesehen - und sie ihn. Sano wusste nicht, wann und aus welchem Grund, doch er war entschlossen, es herauszufinden.
Major Kumazawa setzte zu einer Bemerkung an, doch Sano hob Schweigen gebietend die Hand. »Lasst uns nicht mehr über die Vergangenheit reden und alle Streitereien beiseiteschieben. Wir müssen uns jetzt darauf konzentrieren, Chiyos Entführer zu fassen.«
»Ich bin ganz Eurer Meinung«, erwiderte Kumazawa mit mühsam
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