Der Wolkenpavillon
Blick über den einsam daliegenden See schweifen. Doch ihre Miene hellte sich auf, als sie beobachteten, wie Hirata aus dem Sattel stieg und in ihre Richtung kam.
Einer der Teehausbesitzer, ein junger, geschmeidiger Bursche, eilte Hirata entgegen, wobei er von einem Ohr bis zum anderen lächelte. »Willkommen, ehrenwerter Herr!«, rief er. »Kommt herein, kommt herein! Darf ich Euch etwas zu trinken anbieten?«
»Ja, bitte«, antwortete Hirata, froh, dem Regen zu entrinnen.
In der Teestube, in der es nach fauligen tatami -Matten roch, erhitzte der Teehausbesitzer einen Krug Sake auf einem Holzkohleofen. Zwei andere Männer kamen herein, offenbar in der Hoffnung, Hirata später in ihre Etablissements locken zu können. Hirata trank. Der Sake war scharf und von minderer Qualität, vertrieb aber die Kälte des nassen Tages. Die Männer stellten einander vor, dann erklärte Hirata: »Ich ermittle in einem Entführungsfall. Es geht um Jirochos Tochter.«
Die drei Männer nickten. »Wir haben davon gehört«, sagte Kanroku, der Besitzer des Teehauses. »Eine schreckliche Geschichte.«
»So etwas wünsche ich niemandem, nicht einmal Jirocho«, erklärte Geki, einer der beiden anderen Männer, den Hirata auf Mitte fünfzig schätzte. Geki runzelte die buschigen Brauen in seinem verschmitzten Gesicht. »Die arme Fumiko.«
»Ist euch an dem Tag, an dem das Mädchen entführt wurde, etwas Verdächtiges aufgefallen?«, fragte Hirata.
»Nein«, antwortete Geki. »Wir wussten nicht einmal, dass Fumiko verschwunden war, bis Jirocho seine Leute losgeschickt hat, um nach ihr suchen zu lassen.«
Der dritte Mann - er hieß Hachibei - war alt und grauhaarig, aber noch sehr rüstig. »Keiner hat das Verschwinden des Mädchens bemerkt«, erklärte er. »Es war, als hätte es sich in Luft aufgelöst.«
Genau wie bei Chiyo, ging es Hirata durch den Kopf. »Und wie war es, als Fumiko wieder aufgetaucht ist?«, wollte er wissen.
»Das kann ich Euch sagen«, erklärte Geki. »Denn ich habe sie gefunden.«
»Dann erzählt mir, was geschehen ist«, sagte Hirata.
»Es war ungefähr eine Stunde vor Anbruch der Morgendämmerung. Ich bin aufgewacht, weil ich Wasser lassen musste. Als ich fertig war, habe ich da draußen ein leises Jammern gehört.« Geki wies zum Seeufer. »Da bin ich hingegangen, um nachzusehen.« Sein verschmitztes Gesicht wurde ernst. »Das Mädchen lag auf dem Boden. Ihre Kleidung war zerrissen, und sie blutete zwischen den Beinen. Ich habe auf den ersten Blick gesehen, dass es Fumiko war, weil sie sich oft hier herumgetrieben hat.«
»Manchmal kam sie allein hierher, manchmal mit ein paar jungen Schlägern aus der Bande ihres Vaters«, meldete Kanroku sich zu Wort, der Teehausbesitzer. »Ich habe nie verstanden, warum Jirocho dem Mädchen so viele Freiheiten ließ.«
»Ich auch nicht«, sagte der alte Hachibei. »Aber es steht uns nicht zu, einem Bandenführer zu sagen, was er tun soll und was nicht.«
»Ich habe immer schon gesagt, dass Fumiko eines Tages in Schwierigkeiten kommt«, erklärte Kanroku. »Und ich habe recht behalten.«
»Die Leute erzählen, Fumiko sei gar nicht entführt worden. Angeblich war sie mit einem Mann zusammen, der ihrer überdrüssig wurde und sie sitzen ließ«, erzählte Geki. »Wenn das stimmt, hat Jirocho richtig gehandelt, als er Fumiko aus dem Haus geworfen hat. Ich hätte es genauso gemacht.«
Verwundert erkannte Hirata, dass die Männer offenbar Fumiko die Hauptschuld an dem Verbrechen gaben. »War jemand in der Nähe, als Ihr Fumiko gefunden habt?«, erkundigte er sich bei Geki.
»Erst als ich um Hilfe gerufen habe, sodass die Leute aufgewacht sind und nach draußen kamen. Da habe ich einen Diener losgeschickt, der Jirocho Bescheid sagen sollte. Er kam dann auch und nahm Fumiko mit nach Hause.«
Um sie dann zu bestrafen, nachdem er erfahren hatte, was geschehen war.
»Habt ihr irgendetwas gehört?«, fragte Hirata in die Runde.
Geki schüttelte den Kopf, hielt dann aber unvermittelt inne, als ihm etwas einfiel. Ein Ausdruck des Erstaunens erschien auf seinem Gesicht. »Wartet mal ... ja, ich habe doch etwas gehört.«
»Und was?«, fragte Hirata gespannt.
»Das Rattern von Wagenrädern«, antwortete Geki. »Einen Ochsenkarren.«
Hirata horchte auf. Vielleicht war es derselbe Karren, von dessen Ladefläche Chiyo in die Gasse geworfen worden war. »Habt Ihr den Fahrer gesehen?«
»Nicht, als ich das Rumpeln des Karrens gehört habe«, sagte Geki, »aber möglicherweise
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