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Der Wolkenpavillon

Der Wolkenpavillon

Titel: Der Wolkenpavillon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laura Joh Rowland
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Vielleicht war sie schon wild und gewalttätig gewesen, bevor Jirocho sie verstoßen hatte. »Ich will dir trotzdem helfen«, sagte Reiko. »Erzähl mir von dem Mann, der dich entführt hat! Wie sah er aus?«
    Ratlosigkeit spiegelte sich auf Fumikos Gesicht. Sie presste die Lippen zusammen.
    »Du kannst dich nicht erinnern, oder?«, sagte Reiko leise. Als Fumiko weiterhin schwieg, fügte sie hinzu: »Erzähl mir, was geschehen ist.«
    Das Mädchen senkte den Kopf und murmelte durch den Vorhang aus Haaren, der ihr über das Gesicht fiel: »Ich war am Shinobazu-See und habe die Fische gefüttert. Danach ... ich weiß nicht mehr, es ist alles durcheinander. Da war ein kleiner Affe ...«
    Verwirrt fragte Reiko: »Ein Affe? Wo?«
    »Ein Mann hatte ihn an einer Leine. Er sagte zu mir: ›Wenn du mit mir mitkommst, darfst du mit dem Affen spielen.‹«
    »Wer war dieser Mann?«
    »Ich weiß es nicht.« Fumiko seufzte.
    Offenbar hatte der Entführer den Affen dazu benutzt, das Mädchen anzulocken. Und Fumiko war mit ihm gegangen - möglicherweise zu einem Ochsenkarren, mit dem der Mann sie dann fortgebracht hatte. Also war der Entführer bei Fumiko anders vorgegangen als bei Chiyo. In Reiko keimte der beunruhigende Gedanke auf, dass es sich möglicherweise um zwei, wenn nicht sogar drei verschiedene Täter handelte.
    »Ich habe mit dem Affen Ball gespielt«, erzählte Fumiko. »Dann bin ich aufgewacht, und er war verschwunden. Alles war verschwunden.« Die Verwirrung, die Fumiko empfunden haben musste, war deutlich aus ihrer Stimme herauszuhören. »Ich war an einem Ort voller Wolken.«
    Reiko horchte auf. So etwas Ähnliches hatte auch Chiyo ausgesagt. »War der Mann auch dort?«
    Fumiko nickte.
    »Aber du hast ihn nicht gesehen?«
    »Nein. Wegen der Wolken.«
    »Was hat er getan?«, fragte Reiko.
    Sie befürchtete, dass Fumiko aus Scham schwieg, stattdessen sagte das Mädchen mit erschreckender Sachlichkeit: »Er hat mich überall betatscht. Und dann musste ich sein Ding in den Mund nehmen und daran saugen.«
    Reiko erinnerte sich daran, dass Jirocho illegale Freudenhäuser betrieb. Vielleicht hatte Fumiko dort bei den Freiern und den Mädchen, von denen einige genauso jung waren wie sie selbst, bereits Sex mitbekommen.
    »Ich wollte ihn wegstoßen, aber ich konnte mich nicht bewegen«, sagte Fumiko. »Ich habe geschrien, habe ihn verflucht. Er sagte nur, ich sei ein unartiges Mädchen, und dann hat er mir den Hintern versohlt, bis ich weinen musste. Danach hat er sich auf mich gelegt und sein Ding in mich hineingesteckt.«
    Reiko wurde wütend, als sie hören musste, was Fumiko durchlitten hatte. Vor allem aber war sie beunruhigt. Der Mann, der Fumiko vergewaltigt hatte, schien andere Vorlieben bei Frauen zu haben als der Täter, der Chiyo Gewalt angetan hatte, und er schien andere sexuelle Praktiken zu bevorzugen. Reiko glaubte allerdings, dass Fumiko und Chiyo unter Drogen gesetzt worden waren; vielleicht war ihr Geist beeinträchtigt, und das erklärte ihre abweichenden Schilderungen. Trotzdem konnte Reiko die Möglichkeit, dass es zwei Vergewaltiger gab, nicht ganz von der Hand weisen.
    »An mehr kann ich mich nicht erinnern«, sagte Fumiko. »Dann weiß ich nur noch, dass ich am Ufer des Shinobazu-Sees aufgewacht bin.«
    »Der Mann hat dir ins Gesicht geschlagen, nicht wahr?«, fragte Reiko, auch wenn sie Fumiko ungern an ihre schrecklichen Erlebnisse erinnerte. Aber noch waren die Eindrücke des Mädchens ziemlich frisch, sodass ihr möglicherweise weitere Einzelheiten einfielen, was den Täter und die Tat anging.
    Fumiko betastete vorsichtig ihr blaues Auge. »Nein. Das war mein Vater. Er sagte, ich hätte den Mann verführt und Schande über mich und unsere Familie gebracht.«
    Dass beide Opfer zusätzlich zu den Verletzungen auch noch die Beschimpfung durch die eigene Familie hinnehmen mussten, war besonders tragisch.
    »Ich habe Vater angefleht, mir zu vergeben«, sagte Fumiko. Ihre Stimme zitterte, und Tränen schimmerten in ihren Augen. »Ich habe ihm angeboten, mir einen Finger abzuschneiden.« Sie zog die Nase hoch. »So machen es die Männer aus der Bande meines Vaters, wenn sie einen Fehler begangen haben.«
    Reiko wusste von diesem ungeschriebenen Gesetz der Verbrecher, doch der Gedanke, dass ein kleines Mädchen sich dieser Strafe unterzog, war entsetzlich.
    »Aber Vater hat mir gar nicht zugehört«, sagte Fumiko. »Er hat mich hinausgeworfen.«
    In diesem Augenblick hasste Reiko Fumikos Vater und

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