Der Wolkenpavillon
ist oder nicht. Yanagisawa sah bei beiden keinerlei Anzeichen, dass sie sich zueinander hingezogen fühlten. Aber das war auch nicht nötig. Yoritomo und Tsuruhime würden lernen, sich zu lieben oder nicht. Bei dieser Ehe, die Yanagisawa wichtiger war als alles andere, ging es nicht um Liebe, sondern um Macht.
»Dieser Knabe ist Yoritomo? Das soll der Bräutigam sein?«, stieß Setsu ungläubig hervor. »Ist das Euer Ernst?«
Yanagisawa erkannte, dass der miai nicht ganz so reibungslos verlaufen würde, wie er es sich erhofft hatte. »Vielleicht sollten wir die jungen Leute ein Stückchen vor uns hergehen lassen, damit sie sich ein wenig kennenlernen können«, schlug er vor. Das war ein statthafter Vorschlag, solange die zukünftige Braut und der Bräutigam in Sichtweite ihrer jeweiligen Aufsichtspersonen blieben. »Währenddessen können wir uns über alles Weitere unterhalten.«
Yoritomo warf seinem Vater einen panikerfüllten Blick zu, doch Yanagisawa winkte ihm aufmunternd zu. Nach einigem Zögern schlenderten Yoritomo und Tsuruhime über einen Pfad, der zwischen den Kirschbäumen hindurchführte. Tsuruhime machte den Eindruck, als würde sie jeden Moment in Tränen ausbrechen, während Yoritomo die Miene eines Mannes zeigte, der zum Richtplatz gezerrt wird.
Chocho presste die gefalteten Hände an ihren wogenden Busen und seufzte. »Sind sie nicht ein schönes Paar?«
»Meint Ihr das ernst, dass dieser Knabe meine Stieftochter heiraten soll?« Noch immer fassungslos, starrte Setsu Yanagisawa an.
»Darum sind wir doch hier«, erwiderte Yanagisawa. Setsus Reaktion war alles andere als schmeichelhaft, doch Yanagisawa ließ sich nicht anmerken, dass er gekränkt war. »Oder spricht etwas dagegen, dass Tsuruhime meinen Sohn heiratet?«
»Ganz und gar nicht!«, meldete Chocho sich zu Wort und strahlte Yanagisawa an. »Wenn Ihr der neue Schwiegervater meiner Tochter werdet, bekomme ich Euch viel öfter zu sehen!«
»Grundsätzlich habe ich keine Einwände gegen Euren Sohn«, erklärte Setsu. »Da wäre nur eine Sache ...«
»Und welche?«, fragte Yanagisawa.
Setsu lachte bitter auf. Die Muskeln auf der verzerrten Seite ihres Gesichts spannten sich. »Ist das nicht offensichtlich?«
Das war es in der Tat. Wäre Yanagisawa an Setsus Stelle gewesen, hätte er die gleichen Vorbehalte gehabt. Dennoch sagte er: »Die Heirat ist überlebenswichtig, für Tsuruhime und für Euch, für Chocho, für meinen Sohn und für mich.«
»Warum muss es gerade Yoritomo sein? Warum kommt Ihr nicht mit einem Eurer anderen Söhne?«, fragte Setsu.
Weil Yanagisawa keinen seiner anderen Söhne so sehr liebte wie Yoritomo. Sie sahen nicht so gut aus wie sein Lieblingssohn, sie waren nicht so klug, nicht so gehorsam und nicht so leicht zu beeinflussen. Außerdem hatte Yoritomo eine Wiedergutmachung dafür verdient, dass er nun schon so lange die männliche Konkubine des Shōgun war. Aber mit diesen Argumenten würde Yanagisawa Setsu nicht überzeugen können: Auf politischer Ebene spielten sie keine Rolle.
»Der Punkt ist, dass Yoritomo die angemessene Herkunft vorweisen kann, meine anderen Söhne dagegen nicht«, erklärte Yanagisawa.
Yoritomos Mutter gehörte zum Tokugawa-Klan, der Familie des Shōgun, was Yoritomo zu einem Anwärter auf das Amt machte, auch wenn er in der Rangfolge weit hinten stand.
Setsu musterte Yanagisawa mit fassungslosem Blick. »Dann ist es also nicht bloß ein Gerücht?«, sagte sie. »Ihr habt tatsächlich vor, Euren Sohn zum nächsten Shōgun zu machen?«
Yanagisawa legte einen Finger auf die Lippen. Es war gefährlich, so etwas laut auszusprechen. Er blickte sich um, ob auch niemand mithören konnte, doch er sah nur ein paar Spaziergänger, die sich außer Hörweite befanden. »Wenn es so weit kommt, wäre dies der beste Schutz für Euch und Eure Familie.«
Setsu beobachtete Yoritomo und Tsuruhime, die nebeneinander am Ufer entlanggingen, ohne ein Wort zu wechseln. »Wenn die beiden heiraten, würde Euer Sohn auf der Liste der Thronanwärter eine großen Sprung nach oben machen«, sagte sie, und ihre raue Stimme wurde schneidend.
»Deshalb würden wir beide, Ihr und ich, aus der Heirat Nutzen ziehen«, erwiderte Yanagisawa. »Für Euch und die Euren steht wahrscheinlich sogar noch mehr auf dem Spiel als für mich und meine Familie. Erinnert Ihr Euch an die Geschichte von Toyotomi Hideyoshi?«
Ungefähr hundert Jahre zuvor hatte dieser berühmte General die Macht in Japan angestrebt, aber er war
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