Der Wunschtraummann
Techniker mal ansehen. Sagen Sie mir doch bitte Ihren Namen und nehmen Sie dann einen Moment Platz …« Er weist auf eine Wartebank, auf der schon andere Kunden sitzen. »Es wird nicht lange dauern.«
»Ach, okay, danke«, sage ich, nenne ihm Namen und Adresse und setze mich auf einen der freien Plätze.
Ich will gerade meine Taschen auf den Boden stellen, als mein Handy klingelt. Eine australische Nummer. Das müssen meine Eltern sein. Denn obwohl mein Bruder inzwischen seit beinahe einem halben Jahr in Australien lebt, hat er sich noch kein einziges Mal bei mir gemeldet, bis auf eine einzige SMS , die ich von ihm bekommen habe, in der stand: »Wer hat das Fußballspiel gewonnen?« Meine Mutter dagegen kennt keine derartigen Kommunikationsprobleme.
»Tess? Bist du’s?«
So begrüßt meine Mutter mich bei jedem unserer Telefonate. Ich habe sie nie gefragt, was sie eigentlich glaubt, wer außer mir ans Telefon gehen sollte, wenn sie mich anruft.
»Hi, Mum. Ja, ich bin’s«, entgegne ich und sage auch diesmal nichts. Wobei ich zugegebenermaßen versucht bin, einfach mal einen Akzent aufzusetzen und mich als jemand anderen auszugeben. Die Queen vielleicht. Oder als Alien aus dem All, der in den Körper ihrer Tochter eingedrungen ist.
»Hier ist es so heiß und sonnig!«, ruft sie und stürzt sich gleich in einen ausführlichen Wetterbericht. Ich meine, sie ist in Australien. Im australischen Sommer. Es fällt mir schwer, ihr Erstaunen über das Wetter zu teilen, aber ich gebe mir Mühe.
»Ach was, wirklich?«, frage ich.
»Gestern hatten wir fast dreiunddreißig Grad.«
»Wow.« Ich weiß schon, was jetzt kommt.
»Wie ist denn das Wetter bei euch?«
»Ach, kannst du dir ja denken, ziemlich kalt.«
Vielleicht entgeht mir hier irgendwas, aber meine Eltern leben schon ihr ganzes Leben lang in Großbritannien. Wann war es da im Januar mal anders als kalt? Und ja, ich habe auch schon vom Klimawandel gehört, doch war es früher, ehe ich geboren wurde, mild und warm? Tropisch sogar?
»Sag Dad, ich habe eben Opa besucht«, lenke ich das Gespräch weg vom Wetter.
»Wie geht’s ihm? Benimmt er sich einigermaßen?«
»Aber ja doch«, entgegne ich prompt und springe ihm sofort bei. »Das ist alles nur Miss Temples Schuld, die kann ihn nicht leiden …«
»Tja, dann muss dein Großvater einfach ein bisschen netter zu ihr sein. Weißt du, er kann von Glück reden, dass er im Hemmingway House untergekommen ist. Die haben eine lange Warteliste …«
»Ich weiß, aber es muss ganz schön schwer sein für ihn.«
»Für uns ist es auch ganz schön schwer, Tess«, erwidert meine Mum etwas säuerlich. »Wir müssen uns alle mit Dingen abfinden, die uns nicht in den Kram passen …«
Im Hintergrund hört man meinen Dad und meinen Bruder, die in eine Sportsendung hineinbrüllen, und meine Mum sagt ihnen energisch, sie sollen ruhig sein.
»Auf jeden Fall war er guter Dinge. Er bringt mir auf seiner Maschine das Nähen bei.«
»Ach, schön«, antwortet sie zerstreut, und ich merke, dass sie mir gar nicht richtig zuhört. Aber meine Mum hört eigentlich nie richtig zu. Fast kommt es mir vor, als hätte sie auf alles eine vorgefertigte Antwort, ganz gleich, was ich auch sage. Das war immer schon so, und das ist auch einer der Gründe, warum mein Opa und ich uns so nahestehen. Er hat mir immer zugehört, als ich noch ein Kind war, und es war ganz gleich, was ich auch sagte und wie dumm oder albern es auch klang, er hat mich nie verurteilt, sondern aufmerksam zugehört. Manchmal braucht es gar nicht mehr: einfach nur jemanden, der einem zuhört.
»Aber sein Gedächtnis scheint immer mehr nachzulassen«, füge ich hinzu.
»Wieso, was ist passiert?« Schlagartig ist sie wieder da.
Es ist mir ein bisschen unangenehm, das ausgerechnet jetzt anzusprechen, wo sie weg ist, doch ich habe im Bus darüber nachgedacht, und obwohl ich mir sicher bin, dass es nichts weiter ist und bloß an seinem Alter liegt, muss ich gestehen, dass ich mir ein klein wenig Sorgen mache.
»Also, ich habe ihn auf Seb angesprochen, und er wusste nicht mehr, wer er ist. Es war fast, als könnte er sich überhaupt nicht mehr an ihn erinnern.«
Am anderen Ende der Leitung ist es still, und ich nehme schon an, dass Mum nun wieder die Möglichkeit einer Alzheimer-Erkrankung ansprechen will, aber stattdessen sagt sie: »Ach, ist das Fionas neuer Freund?«
Das Herz pocht mir laut in den Ohren, und ich werde leicht panisch. Bitte nicht auch noch
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