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Der Wunschtraummann

Der Wunschtraummann

Titel: Der Wunschtraummann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexandra Potter
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wird ganz anders. Genau das haben die Betreuer hier gemeint, als sie sagten, er verhalte sich eigenartig. Von wegen lückenhafte Erinnerung. Da steckt mehr dahinter. »Die hat niemand gestohlen«, sage ich beruhigend.
    »Das ist nicht das erste Mal, weißt du. Ständig fehlen hier Sachen«, erklärt er anklagend und wendet sich wieder der Schublade zu.
    »Hier, sind sie das?« Aus den Augenwinkeln sehe ich plötzlich einen kleinen Beutel mit Knöpfen auf dem Kaminsims liegen.
    Sofort unterbricht er sein Tun, und sein Gesicht entspannt sich. »Da sind sie ja! Kluges Kind! Wo waren sie denn? Ich habe sie gar nicht gesehen.«
    »Ach … sie lagen auf dem Boden«, schwindele ich. »Bestimmt sind sie runtergefallen, als du die Schublade durchsucht hast.« Ich will ihm nicht sagen, dass sie ganz woanders lagen. Das würde ihn nur unnötig aufregen, und er ist schon aufgewühlt genug.
    Oder war es zumindest. Jetzt, wo die Knöpfe wieder da sind, legt sich der Sturm genauso schnell, wie er aufgekommen ist, und er ist wieder die Ruhe selbst. Er benimmt sich ganz normal und ist ganz der Alte, als sei gar nichts gewesen. Als hätte er die Geschichte schon wieder vergessen.
    »Schau mal, sind die nicht wunderschön?«, fragt er mich nun, leert den Inhalt des kleinen Beutels in seine Hand und hält mir die Knöpfe zur Begutachtung hin. Dort, in seiner faltendurchzogenen Handfläche, liegen etliche kleine, vollkommen runde Scheiben aus Perlmutt, die im Licht glänzen und schimmern.
    »Himmel, die sind wirklich perfekt!« Ich strahle über das ganze Gesicht.
    »Nicht wahr?« Er nickt hocherfreut.
    »Und schau mal, was ich noch gefunden habe …« Nun bin ich an der Reihe. Ich hole meine Tragetasche und ziehe meine Schätzchen aus dem Secondhandladen heraus. »Guck mal, das ist eine alte Latzhose. Ich dachte, wir könnten die Lederriemen als Griffe benutzen …«
    »Du steckst aber auch voller Ideen, was?« Er nimmt sie mir aus der Hand und dreht und wendet sie. »Ja, das könnte klappen, wir müssen nur zusehen, dass wir das Leder fest in die Naht einnähen …«
    »Ach, und ich habe noch mehr von den alten Mehlsäcken gefunden, aus denen wir noch mehr Taschen nähen könnten!«, rufe ich ganz aufgeregt.
    »Prima«, sagt er, und seine Mundwinkel kräuseln sich amüsiert nach oben, »aber vielleicht sollten wir die hier erst mal fertig machen, hmm?« Wie um mich ein wenig zu bremsen, legt er mir die Hand auf die Schulter.
    »Ach ja, natürlich«, lenke ich rasch ein. Ich habe mich mal wieder von meiner eigenen Begeisterung mitreißen lassen. Altbekannte nagende Zweifel kommen in mir hoch. Mein Opa hat recht, zuerst sollten wir die angefangene Tasche fertig machen. Denn was, wenn meine Idee nichts taugt und das Ding nachher einfach schrottig aussieht? Unsicher werfe ich einen Seitenblick auf mein halbfertiges Werk, und meine Selbstzweifel versetzen mir einen schmerzhaften Stich. Wahrscheinlich war das Ganze ohnehin eine Schnapsidee.
    »Ach, und ich wollte dich fragen …«
    Aus meinen Grübeleien gerissen sehe ich, wie mein Opa in seinen ledergebundenen Terminkalender schaut. »Am Freitag veranstalte ich einen Pokerabend. Hast du Lust?«
    »Opa, du weißt, dass Glücksspiel hier verboten ist«, setze ich an, aber er wischt meine Bedenken mit einer ungeduldigen Handbewegung beiseite.
    »Hop oder top?«, fordert er mich heraus.
    »Hop«, sage ich mit einem schiefen Lächeln.
    »Fabelhaft«, erklärt er strahlend und notiert meinen Namen.
    »Und darf ich noch jemanden mitbringen?«, frage ich, weil mir eine Idee kommt. »Seb, meinen neuen Freund«, füge ich hinzu und warte ab, wie er reagiert.
    Genau wie erwartet.
    »Dein neuer Freund?« Seine Augen leuchten. »Aber natürlich, den muss ich doch kennenlernen. Ich muss doch wissen, ob er meine Enkeltochter überhaupt verdient.«
    »Opa.« Ich werde rot.
    »Nichts Opa«, sagt er, schnalzt mit der Zunge und kritzelt noch etwas in seinen Kalender. Dann steckt er ihn wieder in die Brusttasche und greift zum Maßband. »Also gut, dann mal frisch ans Werk«, sagt er und klopft auf den Platz neben sich.
    Worauf ich vom Sofa aufstehe und mich neben ihn setze.
    »Nur eins noch.«
    »Was denn?«, frage ich und schaue ihn an.
    Er beugt sich zu mir rüber und drückt seine stoppelige Wange an meine. »Diese Tasche wird ein Traum, mein Schatz«, flüstert er, und noch ehe ich etwas erwidern kann, hat er sich umgedreht und lässt die Nähmaschine rattern.

Einundzwanzigstes Kapitel
    Ein paar Stunden

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