Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Wunschzettelzauber

Der Wunschzettelzauber

Titel: Der Wunschzettelzauber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Muriel Zagha
Vom Netzwerk:
werden. Niemand weiß genau, warum«, fuhr Guillaume fort und half ihr ein besonders steiles Stück des Weinhügels hinauf. »Für mich ist das wirklich eine Frage der Grundeinstellung. Ich erinnere mich noch, dass wir eines Sommers, als ich noch klein war, nicht aus dem Wasserhahn trinken konnten, weil das Wasser mit zu vielen Chemikalien versetzt war. Das fand ich absolut schrecklich. Ich werde niemals Pestizide verwenden. Dieses Land wurde einst von den Herzögen des Burgund regiert, und es sollte in seinem natürlichen Zustand erhalten bleiben. Natürlich fallen die Ernten geringer aus, und wir pflücken zudem noch mit der Hand. Die Gärung und das Aufschließen dauern ziemlich lange, aber damit gewinnt man das beste Aroma aus den Trauben. Ich mag es nicht, die Dinge zu übereilen«, erklärte er und sah sie an. »Wenn eine Sache es wert ist abzuwarten, dann warte ich.«
    Chloe war beeindruckt. Guillaume hatte Ideale, und er ackerte ganz schön, um sie zu verwirklichen. Und was er tat, war gut für die Seele. Leicht außer Atem von dem Aufstieg hielt sie sich aber mit ihrer Bewunderung zurück. Sie wollte nicht wie eine naive Schwärmerin daherkommen. Und so machte sie, statt überschwänglich zu werden, nur eine ganz sachliche Bemerkung: »Im Sommer muss das hier ein wunderschöner Anblick sein.«
    Â»Ja, das ist es. Aber ich bin trotzdem froh, dass Sie jetzt hier sind. Die Schönheit der Landschaft ist jetzt versteckter, weniger oberflächlich. Auf diese Weise lernt man die Menschen besser kennen.« Guillaume errötete wieder leicht in dieser für ihn typischen Weise. Dann forderte er sie auf: »Kommen Sie, lernen Sie meine Familie kennen.«
    Wohl weil sie sich von diesem Rundgang wie berauscht fühlte, nahm Chloe die Hürde der anschließenden Weinprobe ohne Schwierigkeiten. Sie fand es interessant, Guillaumes ältere Schwester Aurélie – blond und hübsch und unglaublich sportlich wirkend – kennenzulernen und auch seinen Vater, der eine ältere und womöglich noch erdverbundenere Ausgabe des Sohnes war.
    Die anderen Teilnehmer – eine bunte Mischung von Winzern, Restaurantbesitzern und Kellermeistern – entpuppten sich als eine entspannte, freundliche Gesellschaft. Chloe war sich darüber im Klaren, dass sie ihnen, was ihre Fachkenntnisse betraf, nicht das Wasser reichen konnte, und so begnügte sie sich damit, das Ganze einfach zu genießen. Die Weine, die da zur Verkostung angeboten wurden, waren alle hervorragend, und sie empfand die Gespräche wie eine Fortsetzung ihrer Unterhaltung mit Guillaume.
    Die Weinprobe war absichtlich für eine Tageszeit geplant worden, wenn alle Teilnehmer begannen, hungrig zu werden. Auf diese Weise, erklärte einer der Gastronomieexperten Chloe, würden ihre Geschmacksorgane besonders sensibel reagieren. Auch Chloe war schon etwas hungrig, und obwohl sie, dem Beispiel der anderen folgend, nur wenig von dem Wein hinunterschluckte, hatte sie gegen Ende der Probe das Gefühl, vollkommen betrunken zu sein. Es war, als läge etwas Berauschendes in der Luft.
    Es hatte etwas mit der urfranzösischen Atmosphäre zu tun, die sie umgab – um sie herum nichts als rasch dahinfließendes Französisch, leidenschaftlich, sachkundig und mit einer präzisen Wortwahl, die von jahrzehntelanger Erfahrung zeugte. Die Farbnuancen der Weine – miel, ambre, oeil-de-perdrix, pourpre, grenat  – machten aus dem schlichten Rebensaft ein poetisches Elixier.
    Guillaume kreiste zwischen den Gästen, landete aber immer wieder neben Chloe und sprach mit ihr über Geschmacksnerven und ihre Verteilung im Mund in einer Art, die ihr seltsam intim vorkam, obwohl er technische Begriffe wie perceptions thermiques, rétro-olfaction und so weiter verwendete. Ihr Lieblingssatz des Tages, der heiterste, französischste, bildhafteste und am schwierigsten zu übersetzende Ausdruck, den sie unbedingt Bruno überbringen wollte, lautete: flairer le vin par saccades  – was bedeutete, mit kurzem, staccato-artigem Luftholen am Wein zu schnüffeln. Chloe schnüffelte im Staccato, so gut sie konnte, schlürfte dann eine geringe Menge Wein aus ihrem Probierglas und ließ ihn im Mund bis hinter zur Kehle und wieder nach vorn kreisen, wobei sie – sehr schwierig, wenn man nicht sabbern wollte – ein kleines bisschen Luft

Weitere Kostenlose Bücher