Der Wunschzettelzauber
zwischen den Lippen einlieÃ, damit der Wein sich noch weiter öffnen konnte.
Sie konnte sich gut vorstellen, wie Sally oder ihr Bruder James bei einer solchen Vorstellung reagieren würden â indem sie mit einer Ladung Sarkasmus diesen aufgeblasenen Luftballon zum Platzen bringen würden. Tja, sie würden das Ganze pompös finden, aber Chloe genoss es in vollen Zügen. Sie liebte Frankreich, und Weintrinken war irgendwie das i-Tüpfelchen des Französischseins â und eine Weinprobe war, nun ja, das i-Tüpfelchen des Weintrinkens.
Guillaumes Schwester Aurélie kam an Chloes Seite, und sie sprachen eine Weile über London, über Nicolas, dann kam das Gespräch auf Guillaume. Aurélies Bruder war wie sein Vater ein echter vigneron , ein Mann, der seinen Grund und Boden liebte. Er hatte seine festen Ansichten, seine Lebensphilosophie. Der Weinbau war sein Leben. Er arbeitete den ganzen Tag über, und nachts las er. Nur wenige Menschen wussten das über ihn, meinte Aurélie liebevoll, aber er liebte Romane! Und er liebte die Jagd. Als Chloe sich erkundigte, wie Aurélie und Guillaume sich die Führung des Gutes teilten, seufzte Aurélie mit zusammengepressten Lippen.
»Es stand nie zur Debatte, dass ich das Gut von Papa übernehmen sollte, auch wenn ich die Ãltere bin«, erwiderte sie mit unterdrückter Stimme. »Die Leute hier glauben nicht daran, dass eine Frau Wein machen könnte.«
Chloe nickte mit einem kurzen Seitenblick auf Guillaume verständnisvoll. »Das klingt nicht sehr fair, finde ich.«
»Nein, vielleicht nicht«, gab Aurélie zu und blickte mit einem kleinen Lächeln zu Boden. »Das ist eben die Tradition. Aber ich nehme es ihnen nicht übel«, fuhr sie fröhlicher fort und sah Chloe dabei an. »Ich liebe Pferde, und ich führe hier auf dem Gut meine eigene Reitschule. Das ist also mein Anteil an dem Geschäft, sehen Sie? Reiten Sie?«
»Nein«, antwortete Chloe, die sich vor Pferden fürchtete.
Als es dann so weit war, dass Geschmacksurteile abgegeben wurden, und die anderen selbstsicher von explodierenden Limonen, kalkigem Marzipan, knackigen Ãpfeln und fleur de sel sprachen, ging Chloe zuerst auf Nummer sicher und deutete an, dass der Côtes de Nuit, der Pauillac oder der Saint-Estèphe manchmal vielleicht ein wenig nach Schwarzer Johannisbeere schmeckten. Guillaume aber durchschaute diese Ausweichtaktik. »Wein spricht den Instinkt an«, meinte er zu ihr. »Sagen Sie mir einfach, was Ihnen Ihre Nase sagt.« Also lieà sie es darauf ankommen: Da war ein Côtes de Beaune, der ein Gefühl vermittelte, als drücke man sein Gesicht in warmes Brot; und ein alter Meursault, der nach Haselnüssen duftete. Guillaume lächelte billigend, und sie fühlte sich plötzlich als in das Ritual aufgenommen. Als dann aber die ältesten und komplexesten Weine an die Reihe kamen, hielt sie sich zurück und lauschte den Sprachvirtuosen â allen voran Aurélie â und ihren surrealen Eindrücken in Vergleichen mit Zedernholz, Fleisch oder Wildleder.
SchlieÃlich fand die Weinprobe in einem köstlichen und höchst willkommenen Mittagessen ihren Abschluss. Danach begleitete Guillaume Chloe zu Jeannettes Citroën, den sie sich ausgeliehen hatte. Er machte ihr ein Zeichen, die Seitenscheibe hinunterzukurbeln, und nachdem er mit einem Lächeln und einem weiteren für ihn typischen Erröten ihre Erlaubnis eingeholt hatte, küsste er sie leicht auf die Lippen. Für Chloe, die seit Jahren keinen Mann mehr geküsst hatte, schien das gerade genug, um damit zurechtzukommen. Sanfter, liebevoller, männlicher Druck â nichts Ãberwältigendes. Ein paar Tage später kehrte sie mit Nicolas wieder nach London zurück.
26
Heiratsgedanken
»Ich kann gar nicht glauben, dass du wirklich Gänseleberpastete gegessen hast. Das ist ein harter Schlag«, meinte Megan einige Tage später während Chloes Kaffeepause im Bon Vivant . Megan fand alle Tiere sehr lieb, Gänse eingeschlossen. Sie war den Tränen nahe. »Warum hast du dich denn nicht geweigert? Ich hätte da ganz schön Krawall gemacht. Kein Witz.«
Chloe seufzte. »Ach, Megan ⦠bei französischen Hochzeiten wird immer Gänseleberpastete serviert«, erklärte sie. »Stimmtâs nicht, Bruno?«
Ihr Chef nickte über die Theke hinweg und
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