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Der Zauber des Engels

Der Zauber des Engels

Titel: Der Zauber des Engels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rachel Hore
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im tiefsten Blau. Die Bleiverlötungen werden das Jesuskind hier umgeben und Marias Heiligenschein dort und somit die Gesichter umrahmen.«
    Alle murmelten begeistert vor sich hin.
    »Hat Jefferies die Version schon gesehen?«, fragte Bond.
    »Ja«, antwortete Russell knapp.
    »Er hat mir gestern geschrieben und seine Zustimmung gegeben«, erklärte Lauras Vater. »Können wir jetzt bitte den Engel sehen?«
    Russell entrollte den zweiten Entwurf und hielt ihn hoch. Zunächst war es mucksmäuschenstill. Laura riss den Mund auf. Es war ganz anders, als sie erwartet hatte, aber sie konnte nicht erklären, warum. Die Figur war wunderschön. Mit seinen über dem Kopf gefalteten Flügeln passte der Engel perfekt in die hohe schmale Fensternische. Das Gesicht sah nicht so aus wie das von Caroline, und Laura verspürte zu ihrem Erstaunen Erleichterung. Schließlich wollte sie nicht jede Woche in der Kirche das Gesicht ihrer toten Schwester sehen. Dieser Engel war ein starker, schützender Engel, er hatte eine Hand zum Segensgruß erhoben. Er gefiel ihr, er beruhigte sie, aber er war nicht das, was sie erwartet hatte, und sie wusste nicht, wie sie darauf reagieren sollte.
    Ihr Vater brach schließlich das Schweigen. Als er sprach, merkte sie, dass seine Vorstellungen wiederum ganz anders gewesen waren als ihre. »Das ist nicht der Erzengel Gabriel, der als Bote zu Maria kommt, oder? Er trägt statt der Lilie einen Pilgerstab und sieht eher aus wie ein Pilger, ein Reisender.«
    Russell machte eine knappe Verbeugung. »Ich erinnere mich nicht, dass Gabriel gewünscht war, Sir.«
    »Nein, da haben Sie sicher recht. Aber weil er für die Marienkapelle gedacht ist, ist es naheliegend, dass es Gabriel ist, der Engel, der Maria verkündet hat, dass sie Jesus unter dem Herzen trägt.«
    »Sir, ich habe ganz kurz mit dem Gedanken gespielt, einen Gabriel darzustellen. Das war schwierig, weil für Maria kein Platz im Fenster ist. Ich habe einige frühe Versionen verworfen, ehe mich die Inspiration hierzu überkam. Wenn ich meine Meinung so frei äußern darf, ich glaube, dass Raphael gut in eine Marienkapelle passt. Raphael ist der Schutzengel, der Beschützer der Jugend, der Reisenden. Im Alten Testament war Raphael der Begleiter des jungen Tobias. Und, Sir, sehen Sie dieses Spruchband zu Füßen des Engels? Es ist in dieser Zeichnung schwer zu lesen, aber die Bedeutung von Raphaels Name erscheint mir für die Gedenkstätte einer geliebten Tochter perfekt geeignet.«
    Mit zusammengekniffenen Augen starrte Lauras Vater auf das Spruchband zu Füßen des Engels.
    »Der Name Raphael bedeutet ›Gott heilt‹«, erklärte er den versammelten Familienmitgliedern anschließend mit ungewöhnlich belegter Stimme. Er räusperte sich, fuhr sich mit der Hand durch das schütter werdende Haar. »Was meinst du, meine Liebe?«, fragte er und reichte seiner Frau die Zeichnung.
    Schweigend studierte sie den Entwurf. Ihr Gesicht war ausdruckslos, so als sei sie mit den Gedanken weit weg. Dann lächelte sie plötzlich und blickte ihren Mann an. Zu ihrem Erstaunen sah Laura, dass die Augen ihrer Mutter vor Glück leuchteten.
    »Der Schutzengel Raphael. Es gefällt mir, James«, sagte sie. »Es ist gut. Wir sind alle Pilger auf dieser Erde, und unsere Engel beschützen uns auf unserer Reise. Vor allem die Ausführung der Flügel gefällt mir, Mr. Russell. Sie haben sich so viel Mühe mit den Einzelheiten gegeben. Ich danke Ihnen.«
    »Keine Ursache, Madam«, antwortete er leise.
    Laura schaute zu Mr. Russell, der sie unverwandt anschaute. Er wartete. »Und Sie, Miss Brownlow? Ihre Meinung ist mir ebenfalls sehr wichtig.«
    »Ihr Raphael gefällt mir«, sagte sie nach einer Weile. »Sehr sogar.«
    Alle schienen vergessen zu haben, dass der Engel eigentlich wie Caroline aussehen sollte. Oder aber, überlegte Laura, sie waren genau wie sie selbst erleichtert, dass es nicht so war.
    »Warum hast du das gemacht, Dad? Warum hast du ihn eingeladen?«, schrie Laura und folgte ihrem Vater in sein Arbeitszimmer, als alle fort waren.
    Sie blickte auf das Paket im braunen Packpapier herab. Beim Gehen hatte Mr. Bond es ihr in die Hand gedrückt. »… eine Kleinigkeit zu Ihrem Geburtstag«, hatte er gebrummt.
    »Du weißt, wie unbehaglich ich mich in seiner Nähe fühle. Und für ihn muss es die reinste Quälerei sein.«
    »Laura, das tut mir leid, aber du musst auch mich verstehen. Er ist mein Kirchenvorsteher, meine Stütze in diesen schwierigen Zeiten. Er muss die

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