Der Zauber einer Winternacht
schwang er kurzerhand ein nacktes Bein aus dem Bett. Dieses kleine Vorspiel entlockte Rose einen spitzen Schrei. Sie drehte sich hastig um und rannte aus dem Zimmer. Stella war nicht ganz so leicht zu beeindrucken. Sie richtete sich hoch auf, wandte sich an Gillian und sagte: „Wenn du nur einen Funken Anstand hast, kommst du mit!“
Natürlich hatte Stella recht. Aber Gillian bedauerte trotzdem, dass sie um das Vergnügen gebracht wurde, Bryce nackt zu sehen. Mit bedauerndem Lächeln drehte sie sich um und verließ sein Zimmer.
Es fiel Bryce schwer – um nicht zu sagen, es war ihm unmöglich –, die absurde Situation nicht zu genießen. Um nichts in der Welt hätte er diesen Moment verpassen wollen. Der Gesichtsausdruck seiner Exschwägerinnen war einfach zu köstlich gewesen. Er gab sich bezüglich der beiden keinen Illusionen hin.
Nichts würde sie davon überzeugen können, dass er auf etwas anderes aus war als darauf, ihre kleine Schwester erneut zu verführen und sich das Geld ihres Vaters unter den Nagel zu reißen. Leider würde auch nichts Gillian davon überzeugen können, dass ihre Schwestern nur eines im Sinn hatten: den alten Vater ins Heim abzuschieben und von den Früchten seiner Arbeit zu leben.
Bryce war froh, dass er nur John verpflichtet war und niemandem sonst in dieser Familie. Seinen Vater hatte er stets als gefühlskalt und distanziert erlebt. Von daher hielt Bryce es für völlig natürlich, dass er in Gillians Vater mehr als nur einen Ratgeber und Freund sah. Sein ehemaliger Schwiegervater hatte ihn als Einziger aus der Familie Baron in jenen schrecklichen Tagen unterstützt, als seine Ehe und sein Leben in Scherben gingen.
Was er und Gillian beim Verlust ihres Kindes durchmachen mussten, war die Hölle auf Erden gewesen. Bryce würde John ewig dankbar sein, weil er ihm geholfen hatte, den unbeschreiblichen Schmerz besser zu ertragen.
Er konnte nicht einfach mit ansehen, wie dieser gute Mann vom eigenen Fleisch und Blut verraten und verkauft wurde.
Bryce erinnerte sich noch genau daran, wie gern Stella und Rose behauptet hatten, sein enorm hohes Arbeitspensum verschleiere in Wirklichkeit nur die Tatsache, dass er Gillian und Bonnie absichtlich vernachlässige. Deshalb nahm er sich jetzt bewusst viel Zeit, um in Ruhe zu duschen und sich anzuziehen, bevor er nach unten ging. Zornige Stimmen – dieselben, die ihn jahrelang gequält hatten – schallten ihm entgegen. Als er die Küche betrat, unterbrach er die hitzige Diskussion mit einer einfachen Frage.
„Wie seid ihr beiden denn hierhergekommen? Ich dachte, der Passagierschlitten fährt nicht?“
Ungerührt von seinem Versuch, Freundlichkeit zu zeigen, entgegnete Stella: „Genauso wie ihr natürlich. Wie im Mittelalter.“
Bryce versuchte nicht mal, sein Grinsen zu unterdrücken. Ein Blick aus dem Fenster zeigte ihm, dass tatsächlich zwei weitere Motorschlitten auf dem Hof standen. Es war allgemein bekannt, wie sehr Stella und Rose alles Rustikale und Unbequeme hassten. Sie waren beide nach der Unterstufe freiwillig auf private Internate gegangen, nur um von der Ranch wegzukommen. Gillian dagegen hatte sich entschieden, die Highschool in Jackson Hole zu besuchen, nachdem bei ihrer Mutter Krebs diagnostiziert worden war.
Virginia Baron starb, noch bevor ihre jüngste Tochter das erste Highschool-Jahr hinter sich hatte. Ihre Schwestern reisten zur Beerdigung an und sofort danach wieder ab. Gillian blieb daheim bei ihrem Vater, half ihm, die Trauer um seine verstorbene Frau zu bewältigen, unterstützte ihn bei der täglichen Arbeit auf der Ranch – und genoss jeden Augenblick. Für Bryce war die Tatsache, dass seine beiden Exschwägerinnen sich dazu durchgerungen hatten, sich unter so widrigen Umständen auf einen offenen Motorschlitten zu setzen und zur Ranch zu fahren, ein Beweis dafür, wie nervös sie waren.
„Der Weg ist gestern Abend teilweise geräumt worden. Er ist gerade so befahrbar. Der Passagierschlitten wird frühestens nach Weihnachten wieder eingesetzt“, erklärte Rose. „Die Fahrt hierher war schrecklich. Ein Wunder, dass wir es geschafft haben.“
„Womit wir schon beim Thema wären: Diese Situation beweist doch, dass Daddy nicht allein hier draußen bleiben darf, so ganz und gar abgeschnitten von der Zivilisation“, fügte Stella bissig hinzu.
Sie zuckte zusammen, als Bryce sich mit einer Tasse Kaffee zu ihnen an den Küchentisch setzte, und wendete sich an ihn: „Ich frage mich ja, ob nicht du
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