Der Zauber einer Winternacht
die mit ihrem Land fest verwurzelt waren und allen Differenzen zum Trotz aneinanderhingen wie die Kletten. Bryce wusste, dass Stella und Rose trotz der ständigen Nörgeleien und Streitereien ihre Schwester und ihren Vater ehrlich liebten.
Doch jetzt wurden er und John erst einmal aus der Küche gescheucht und für den Rest des Tages ins Wohnzimmer verbannt. Sie sollten den drei Schwestern aus dem Weg bleiben, während diese ein opulentes Festmahl zauberten. Also setzten die beiden Männer sich vor den Fernseher und schauten sich gemeinsam ein Footballspiel an.
Aus der Küche drang fröhliches Geplapper und Gelächter zu ihnen herüber. Bryce hatte vergessen, wie viel Spaß die Baron-Schwestern miteinander haben konnten. Sie spielten sich gern auf, mischten sich in alles ein und pflegten einen Haufen Vorurteile, aber sie standen sich dennoch so nah, dass Bryce sie nur beneiden konnte. Wahrscheinlich war es ganz natürlich, dass Gillians Schwestern sich bedroht gefühlt hatten durch deren Heirat mit einem Mann, der nichts hatte, nichts war und nicht zu ihrem Freundeskreis gehörte. Ein Mann, der wenig mehr vorweisen konnte als große Träume.
Das Essen wurde ein Fest für alle Sinne. Die Zeit hatte nicht ausgereicht, um einen Truthahn aufzutauen und zuzubereiten. Deshalb gab es als Hauptgericht einen saftigen Schinkenbraten mit Ananas und Honigsauce. Dazu wurden auf Virginia Barons bestem Geschirr, dem mit dem blauen Zwiebelmuster, Kartoffelgratin, Spargel mit Sauce hollandaise und Blätterteigpastetchen serviert. Zum Dessert gab es einen sündhaft leckeren Pekannusskuchen mit frischer Schlagsahne.
Nachdem sich alle schamlos den Bauch vollgeschlagen hatten, wandte Gillian sich an ihre Schwestern: „Ich habe euch eure Geschenke per Post zugeschickt. Mit etwas Glück solltet ihr sie noch vor eurer Abreise hierher bekommen haben. Wenn ich gewusst hätte, dass ihr hier aufkreuzt, hätte ich sie natürlich hierhergeschickt.
Rose gab zu, ihr Geschenk sofort geöffnet zu haben, statt es bis Weihnachten liegen zu lassen. „Die Kristallvase ist wunderschön. Sie passt so gut zu meiner Einrichtung“, schwärmte sie.
Stella hatte ihr Päckchen ebenfalls bereits erhalten, aber getreu weihnachtlicher Tradition noch nicht geöffnet. Sie bedankte sich trotzdem schon mal bei Gillian, forderte dann die ganze Familie auf, um den Christbaum herum Platz zu nehmen, und reichte ihrem Vater ein kunstvoll verpacktes Geschenk. Es entpuppte sich als eine goldene Rolex.
„Die ist viel zu extravagant!“, protestierte John und bestätigte damit Stellas Vermutung, dass er sich diesen Luxus niemals selbst gegönnt hätte.
Bryce lag eine bissige Bemerkung auf der Zunge, aber er verkniff sie sich. Es gab keinen Grund, den brüchigen Waffenstillstand zu gefährden, den sie für das Weihnachtsfest geschlossen hatten.
Gillian bewunderte die Rolex und meinte: „Jetzt schäme ich mich fast, dir die Flanellhemden zu geben, die ich für dich besorgt habe, Daddy. Du brauchst zwar dringend ein paar neue, aber …“
„Ach, Gillian, damit, dass du zu mir ziehen willst, hast du mir schon das schönste Geschenk gemacht, das ich mir vorstellen kann“, beruhigte ihr Vater sie.
Bryce spürte, wie sein Herz sich verkrampfte. Bis zu diesem Augenblick war ihm nicht bewusst gewesen, wie sehr er sich innerlich danach sehnte, es wie Gillian zu machen und in sein altes Leben zurückzukehren.
Er zog einen kleinen vernickelten Revolver mit Griffschalen aus Elfenbein aus seiner Tasche und reichte ihn Gillians Vater.
„Ich habe auch etwas für dich, John“, sagte er. „Entschuldige, dass ich es nicht eingepackt habe.“
Der alte Mann nahm den Revolver geradezu ehrfürchtig entgegen und untersuchte ihn eingehend.
„Ein Colt aus dem 19. Jahrhundert!“, rief er und reichte ihn dann zögernd zurück. „Ich fürchte, ein so teures Geschenk kann ich nicht annehmen.“
„Du verletzt meine Gefühle, wenn du es nicht annimmst“, erwiderte Bryce.
„Dann kann ich nur sagen: danke!“ John schüttelte Bryce freundschaftlich die Hand. „Das Stück passt perfekt in meine Sammlung.“
Der Stolz und die Freude auf dem Gesicht seines alten Freundes waren für Bryce das schönste Weihnachtsgeschenk, das er sich vorstellen konnte.
Gillian schluckte. Sie war so bewegt, dass es ihr fast den Hals zuschnürte. Wenn ihre Beziehung zu Bryce doch nur so unkompliziert gewesen wäre wie sein Verhältnis zu ihrem Vater! Sie wünschte, sie könnte das letzte Geschenk
Weitere Kostenlose Bücher