Der Zauber von Avalon 01 - Sieben Sterne und die dunkle Prophezeiung
auf die Bergwiese, wo eine einsame Gestalt zwischen den Bäumen hervortrat. Doch das war kein Elfenmädchen – und trug keinen Stab. Während Tamwyn beobachtete, wie die Gestalt über den Gipfel schritt, hielt er plötzlich den Atem an. Er
kannte
diesen Mann, er erinnerte sich an ihn so deutlich wie an jene Nacht außerhalb von Lotts Dorf, als er in einen Misthaufen gerutscht war, um sich zu wärmen.
»Der Barde . . .«
In diesem Moment beschrieb der Barde schwungvoll einen Bogen, so dass sein seitwärts wachsender Bart im Sternenlicht schimmerte. Er zog den breitrandigen, schiefen Hut. Darunter saß auf seinem kahlen Kopf das tränentropfenförmige Geschöpf mit der bläulichen Haut, das Tamwyn ebenfalls nicht vergessen hatte.
»Er hat einen Museo«, flüsterte Elli ehrfürchtig.
»Iihii, iihii«, kicherte Henni. »Wetten, er ist blau geworden, weil er ständig unter diesem hässlichen alten Hut sitzen muss.«
Nuics Farben wechselten zu einer sonderbaren Mischung aus Blau und Rosa. »Ich frage mich . . .«, murmelte er vor sich hin.
In diesem Augenblick fing der Museo an zu summen – ein tiefer, vibrierender Klang drang ihnen in die Ohren, erschütterte die Knochen und fand ein Echo in ihren Herzen.Wie schon zuvor fühlte sich Tamwyn leicht schwindlig. Wie musikalischer Met durchrieselte ihn das Summen des Museos und weckte so viele Gefühle, dass er schwankte. Elli, die immer noch Nuic in den Armen hielt, lehnte ihre Schulter an seine und jeder von ihnen hielt den anderen im Gleichgewicht.
Der Barde schlenderte weiter über den Gipfel, den schiefen Hut in der Hand und den Museo auf dem Kopf. Dann, als das Summen anschwoll, fing er leise und melodisch an zu singen. Die Worte waren schwer zu verstehen, doch Tamwyn fing immerhin so viel auf:
Ein großes Geheimnis birgt die Welt
Im Baum hinterm endlosen Meer.
Und Schätze wären zu heben . . .
Doch nur dem Wahren wird offenbar:
Tausend Haine in Avalon
Rauschen. Und leben.
Die letzte Zeile hallte in Tamwyns Gedanken wider.
Was bedeutet das wirklich? Die Herrin wollte es mir nicht sagen, aber vielleicht sagt es mir dieser alte Barde.
»Komm«, bat er Elli und trat vorsichtig zur Seite, damit sie nicht das Gleichgewicht verlor. »Wir wollen ihn einholen! Vielleicht hat er das Mädchen gesehen – oder den Stab.«
Sie liefen zum Hügel und mussten sich den Weg durch ein Gewirr aus hüfthohen Farnen bahnen. Unter ihren Füßen schoss eine Familie Hermeline mit silbernem Rücken davon, während ein großer Igel sich zu einem stachligenBall zusammenrollte. Bald kamen sie in ein Gehölz verflochtener Ulmen, deren schlanke Zweige mit roten und gelben Flechten besprenkelt waren. Der Boden stieg an und spätmorgendliches Sternenlicht drang durch die Äste weiter oben.
Tamwyn brach aus den Zweigen. Er stand auf dem grasigen Hang und schaute sich nach dem Barden um, sah ihn aber nicht. Auch das Singen hörte er nicht mehr, noch nicht einmal das schwermütige Summen des Museos.
»Um alles und aberalles in Avalon«, fluchte er. »Wo sind sie?«
Elli kam mit Nuic zwischen den Bäumen hervor. Sie zog sich ein paar Ulmenblätter aus den Haaren. »Irgendeine Spur?«
»Nein.«
»Sag mal, Tollpatsch«, rief Henni, als er aufs Gras herauslief. »Ich wette, du läufst nicht so schnell wie ich zum Gipfel.«
Bevor Tamwyn antworten oder loslaufen konnte, raste Henni den Hang hinauf. Er sprang über eine kleine Senke im Hügel, dann blieb er jäh stehen. »Huuii«, rief er. »Kommt und schaut euch das an!«
Die anderen liefen zu ihm. Was sie sahen, ließ sie erstarren. In der Senke lag der blutige Körper eines Mädchens mit honigfarbenem Haar. Im Gesicht und an den Armen klafften Schnittwunden und eines der spitzen Ohren war fast abgerissen. Blut rann aus einer tiefen Wunde in der Seite. Reglos wie ein gefällter Baum lag das Mädchen neben seinem Langbogen.
Tamwyn und Elli wechselten traurige Blicke. Die Elfe hatte sichtlich einen qualvollen Tod gehabt.
»Sie ist es. Jaja jaja!«, plapperte Flederwisch und fiel fast aus der Tasche vor Aufregung.
»Aber kein Stab«, sagte Tamwyn. »Bist du sicher, dass sie ihn dabeihatte?«
»Sicher, sicher, jajaja.«
Tamwyn schaute zum Gipfel, wo der Barde noch vor einem Augenblick gewesen war.
Hat er uns absichtlich hierher geführt?
Elli starrte auf den Körper hinunter. »Was ist mit ihr geschehen?«
Tamwyn deutete in die Senke hinunter. Dort lag der verdrehte Körper eines Ghoulaca, die fast durchsichtigen Flügel
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