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Der Zauberberg

Der Zauberberg

Titel: Der Zauberberg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann
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lichkeit wegen, wie ausländische Fräulein es machen, wenn sie ein wenig reifer sind, sondern wir alle wissen es, daß sie wirklich einen Mann hat irgendwo in Rußland, das ist im ganzen Orte bekannt. Von Hause aus hat sie einen anderen Namen, einen russischen und keinen französischen, einen auf –anow oder –ukow, ich habe ihn schon gewußt und nur wieder vergessen; wenn Sie wollen, erkundige ich mich danach; es gibt sicher mehrere Personen hier, die den Namen kennen. Einen Ring? Nein, sie trägt keinen, es ist mir auch schon aufgefallen. Lieber Himmel, vielleicht kleidet er sie nicht, vielleicht macht er ihr eine breite Hand. Oder sie findet es spießbürgerlich, einen Ehering zu tragen, so einen glatten Reif … es fehlt nur der Schlüsselkorb … nein, dazu ist sie gewiß zu großzügig … Ich kenne das, die russischen Frauen haben alle so etwas Freies und Großzügiges in ihrem Wesen. Außerdem hat so ein Ring etwas geradezu Abweisendes und Ernüchterndes, er ist doch ein Symbol der Hörigkeit, möchte ich sagen, er gibt einer Frau direkt etwas Nonnenhaftes, das reine Blümchen Rührmichnichtan macht er aus ihr. Ich wundere mich gar nicht, wenn das nicht nach Frau Chauchats Sinne ist … Eine so reizende Frau, in der Blüte der Jahre … Wahrscheinlich hat sie weder Grund noch Lust, jeden Herrn, dem sie die Hand gibt, gleich ihre eheliche Gebundenheit fühlen zu lassen …«
    Großer Gott, wie die Lehrerin sich ins Zeug legte! Hans Castorp sah ihr ganz erschreckt ins Gesicht, aber sie trotzte seinem Blick mit einer Art von wilder Verlegenheit. Dann schwiegen beide eine Weile, um sich zu erholen. Hans Castorp aß und unterdrückte das Zittern seines Kopfes. Endlich sagte er:
    »Und der Mann? Er kümmert sich gar nicht um sie? Er besucht sie niemals hier oben? Was ist er denn eigentlich?«
    »Beamter. Russischer Administrationsbeamter, in einem ganz entlegenen Gouvernement, Daghestan, wissen Sie, das liegt ganz östlich über den Kaukasus hinaus, dahin ist er kom {210} mandiert. Nein, ich sagte Ihnen ja, daß noch nie ihn jemand hier oben gesehen hat. Und dabei ist sie schon wieder im dritten Monat hier.«
    »Sie ist also nicht zum erstenmal hier?«
    »O nein, schon das drittemal. Und zwischendurch ist sie wieder wo anders, an ähnlichen Orten. – Umgekehrt,
sie
besucht
ihn
zuweilen, nicht oft, einmal im Jahre auf einige Zeit. Sie leben getrennt, kann man sagen, und sie besucht ihn zuweilen.«
    »Nun ja, da sie krank ist …«
    »Gewiß, krank ist sie. Aber doch nicht
so
. Doch nicht so ernstlich krank, daß sie geradezu immer in Sanatorien und von ihrem Manne getrennt leben müßte. Das muß schon weitere und andere Gründe haben. Hier nimmt man allgemein an, daß es noch andere hat. Vielleicht gefällt es ihr nicht in Daghestan hinter dem Kaukasus, einer so wilden, entfernten Gegend, das wäre am Ende nicht zu verwundern. Aber ein wenig muß es doch auch an dem Manne liegen, wenn es ihr so gar nicht bei ihm gefällt. Er hat ja einen französischen Namen, aber darum ist er doch ein russischer Beamter, und das ist ein roher Menschenschlag, wie Sie mir glauben können. Ich habe einmal einen davon gesehen, er hatte so einen eisenfarbenen Backenbart und so ein rotes Gesicht … Im höchsten Grade bestechlich sind sie, und dann haben sie es alle mit dem Wutki, dem Branntwein, wissen Sie … Anstandshalber lassen sie sich eine Kleinigkeit zu essen geben, ein paar marinierte Pilze oder ein Stückchen Stör, und dazu trinken sie – einfach im Übermaß. Das nennen sie dann einen Imbiß …«
    »Sie schieben alles auf ihn«, sagte Hans Castorp. »Wir wissen aber doch nicht, ob es nicht vielleicht an ihr liegt, wenn sie nicht gut miteinander leben. Man muß gerecht sein. Wenn ich sie mir so ansehe und diese Unmanier mit dem Türenwerfen … ich halte sie für keinen Engel, das nehmen Sie mir, bitte, nicht {211} übel, ich traue ihr nicht über den Weg. Aber Sie sind nicht unparteiisch, Sie sitzen ja bis über die Ohren in Vorurteilen zu ihren Gunsten …«
    So machte er es zuweilen. Mit einer Schlauheit, die seiner Natur eigentlich fremd war, stellte er es so hin, als bedeute Fräulein Engelharts Schwärmerei für Frau Chauchat nicht das, was sie, wie er sehr wohl wußte, in Wirklichkeit bedeutete, sondern als sei diese Schwärmerei eine selbständige, drollige Tatsache, mit welcher er, der unabhängige Hans Castorp, die alte Jungfer aus kühlem und humoristischem Abstande necken konnte. Und da er

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